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Deutsche und Tschechen (1)

1. Mit wechselnden Problemen in der Habsburger Monarchie

2. Im tschechoslowakischen Nationalstaat

3. Heim ins Reich ?


1. Mit wechselnden Problemen in der Habsburger Monarchie.

Nachwehen der französischen Revolution machten sich in ganz Europa bemerkbar. Der Ruf der Völker nach Freiheit und Gleichheit wurde unüberhörbar. Es kam auch in der Habsburger Monarchie zu Unruhen. Die Auflehnung der Tschechen gegen die deutsche (österreichische) Dominanz verstärkte sich. Wenn auch die Wellen der Prager Unruhen (Slawenkongreß 1848, Idee des Panslawismus) an Stärke verloren, ehe sie Brünn erreichten, so blieb das Streben nach Gleichberechtigung ungebrochen. Nicht mehr das Gemeinsame und Vereinende zu stärken stand im Vordergrund, sondern die Verschärfung der Gegensätze.
Besonders deutlich wurde dies bei der Weigerung der Tschechen, an der Frankfurter Nationalversammlung teilzunehmen. Sie beanspruchten ganz Böhmen für das tschechische Volk, so wie die Ungarn seinerzeit den ungarischen Siedlungsraum für sich allein forderten.

Daß der Vielvölkerstaat der Habsburger Monarchie mit seinen Völkern Probleme hatte, ist ebenso bekannt wie die Tatsache, daß durchaus Versuche unternommen wurden, einen Ausgleich der Interessen zwischen dem wachsenden Selbstbewußtsein der slawischen Bevölkerungsteile und der deutschen Dominanz zu finden. Dabei bot Mähren und insbesondere der in Brünn geborene "Mährische Ausgleich" eine großartige Chance, die nationalen Mißverständnisse, Verhärtungen und die vom tschechischen Bevölkerungsteil als Zurücksetzung empfundenen Gegebenheiten auszugleichen. Er brachte (1905) fürs erste in Mähren einen fühlbaren Rückgang des Nationalitätenkampfes und wäre durchaus in Richtung einer wirklich autonomen Verwaltung entwicklungsfähig gewesen. Aber er kam zu spät. Zu lange hatte die österr.-ungarische Monarchie gezögert, dem erkennbar gewordenen Streben nach stärkerer Beachtung nationaler Eigenheiten bei seinen Völkern Raum zu geben.

Das Nationalbewußtsein der Tschechen wuchs und wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zusätzlich gefördert durch die sogenannte industrielle Revolution.

Mommsen [25] schreibt: "Ohne deutsches Kapital und deutsches Unternehmertum wäre die wirtschaftliche Erschließung Böhmens und Mährens nicht denkbar gewesen. Das aber rief bei den Tschechen das Gefühl der "Ausbeutung" hervor. Es war einfach, die Ursachen wirtschaftlicher Schwierigkeiten simplifizierend beim ethnischen Nachbarn anstatt im Prozeß selbst zu suchen."

Dazu kamen auch noch starke Bevölkerungsverschiebungen. Um 1890 lebte die Hälfte der Bevölkerung nicht mehr in ihren Heimatorten. Hunderttausende bisher in der Landwirtschaft Beschäftigte hatten sie verlassen und strömten vornehmlich in die Städte. Der bis dahin deutsche Charakter der Städte ging verloren. Auch in Brünn entstanden schnell wachsende tschechische Minderheiten, bestehend hauptsächlich aus dem Arbeiterstand. Begleitet war dies alles auch noch von den schon erwähnten nationalen und auch von ideologischen Vorstellungen:

Beide Nationalitäten begannen sich gegeneinander abzugrenzen und Streit nicht zu scheuen. Sichtbarer Ausdruck waren Verbände auf beiden Seiten mit kämpferischer Gundhaltung (z.B. Sokol, Turnvereine usw.)

Deutlichsten Ausdruck fand diese Tendenz 1899 durch die Gründung eines "Tschechischen Nationalrates" (Národní rada česká), in dem die Abgeordneten aller tschechischen Parteien vereint waren, und durch den 1903 gegründeten "Deutschen Volksrat in Böhmen und Mähren". Durch beides wurde die Bildung nationaler Blöcke und der sogenannte Volkstumskampf gefördert und die nationalen Gegensätze verschärft.

Der tschechische Historiker Dušan Uhlíř schreibt zur Brünner Situation um die Jahrhundertwende u.a. folgendes:

"Brünn war am Anfang des Jahrhunderts eine Stadt, in der die deutsche Mehrheit regierte. Sie beherrschte das Rathaus und das Wirtschaftsleben der Stadt. Die Tschechen bewohnten über viele Generationen hauptsächlich die Peripherie, und auch die Ortschaften im breiten Umkreis der mährischen Hauptstadt waren tschechisch. Tschechen und Deutsche lebten hier ganze Jahrhunderte nebeneinander, und selbst die Sprachbarriere trennte sie nicht übermäßig. Die Brünner städtische Kultur war zweisprachig. In der Mehrzahl der Brünner Haushalte wurde tschechisch und deutsch gesprochen. Das gesprochene "Brünnerisch" war ein wundersames Gemisch beider Zungen."

Die Vermischung der beiden Nationen hatte in den Städten, so auch in Brünn, ein stärkeres Ausmaß als in den rein deutschen Randgebieten. Darauf deutet auch die Tatsache hin, daß vielfach Deutschstämmige tschechisch klingende Namen trugen und umgekehrt.

Dušan Uhlíř fährt fort:

"Die Nationalitätsstreitigkeiten begannen erst, als die mährischen Tschechen nationalbewußt wurden und ihre Rechte einforderten. Das nationale Wiedererwachen erreichte Brünn viel später als die .....Städte in Böhmen."

Auf der Grundlage der Volkszählung des Jahres 1900 hatte Brünn rund 110 Tausend Einwohner. 63 % entfielen auf Deutsche, genauer gesagt auf solche, die deutsch als ihre Umgangssprache angaben. Tschechische Bürger waren daher bloß 37 %. Diese Zahl kann allerdings irreführen. Die tschechische Mehrheit stützte sich auf das breite Umfeld der Stadt, das mit dem Leben und der Wirtschaft Brünns eng verbunden war. Und dieses Umfeld war überwiegend tschechisch.
Nach der Gründung der tschechoslowakischen Republik wurde durch Eingemeindung der tschechischen Vororte eine tschechische Majorität im Stadtparlament herbeigeführt. Um das neu geschaffene Übergewicht nicht zu gefährden, wurde von der Eingemeindung der deutschen Sprachinselgemeinden, die teilweise topografisch näher an der Stadt lagen als tschechische, Abstand genommen.

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