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DER BRÜNNER SPIELBERG


Wer jemals Mähren besucht hat und in die Landes­hauptstadt kam, der stand irgendwann plötzlich vor einem Berg, der die Stadt überragt und dessen hohe Bauten von einem Meer grüner Bäume und Anlagen verdeckt werden. Das ist der Spielberg in Brünn, eines der Wahrzeichen der mährischen Landeshauptstadt.

Ein Lord, den die britische Regierung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zum Studium des konti­nentalen Gerichtswesens entsandt hatte, wurde auch von Joseph II., der seit kurzem des Heiligen Römischen Reiches Kaiser geworden und mit Feuereifer an die Verwirklichung der schon lange geplanten Reformen geschritten war, in Wien in Audienz empfangen. Als der Kaiser seinen englischen Gast nach den bisher gesammelten Eindrücken in den Gefängnissen fragte, be- zeichnete dieser sie als „die abscheulichsten, die einem je zu Gesicht kommen können“.

Überrascht vom Freimut dieser Worte, meinte der Kaiser, daß in England erfahrungsgemäß die Verbrecher massenweise gehenkt werden, während man diese in Österreich zum Großteil nur einkerkere. Daraufhin soll der Lord geantwortet haben: „Ich möchte in England lieber gehenkt werden, als in Österreich Gefangener sein.“

Nun wissen wir aus der Geschichte, daß die Engländer nicht die geringste Ursache haben, auf andere Steine zu werfen, daß man in der damaligen Zeit mit politi­schen Gegnern sowie mit Rechtsbrechern nirgends vor­nehm verfuhr und der Strafvollzug überall auf dem Boden des Abendlandes höchst barbarisch war. Was aber den Spielberg in Brünn betrifft, so handelt es sich um einen offensichtlichen Skandal der „guten alten Zeit“, denn hier wurden Mörder, Wegelagerer, Diebe, Sittenstrolche und Spitzbuben aller Art ebenso wie politische Gegner unter den grauenvollsten Bedingun­gen inhaftiert.

Die günstige Lage des Berges mit seinen steilen Ab­hängen hatte schon die alten Landesfürsten dazu be­wogen, hier ihren Sitz aufzuschlagen, wo dann in einer Höhe von 280 Metern ein System von Wällen, Gräben und klobigen Baulichkeiten entstand, das auch den Be­wohnern, die sich nach und nach in der Ebene um den Berg angesiedelt hatten, als Schutz diente, wenn feind­liche Nachbarn das Land durchzogen oder bedrohten.

Zur Zeit König Sigismunds (1368—1437) hatte der Spielberg, die „unbezwingbare Feste“, entscheidende Monate erlebt, als dieser Herrscher in wenig könig­licher Art eine Abordnung seines Gegenspielers Jan Žižka, die zu Friedensverhandlungen auf die Burg ge­kommen war, solange festhielt, bis seine Soldaten unter den Aufständischen auf die damals übliche Art Ordnung gemacht hatten: sie mordeten sie einfach hin. Mit Recht erbost, rückten die Hussiten mit einem Heer an und eroberten die Stadt unter dem Spielberg. Doch ihn selbst zu bezwingen waren sie nicht imstande, denn Brünns Bürger hielten aus, und der hussitische Feld­hauptmann Prokop der Kahle brach nach einem für ihn unglücklich verlaufenen Scharmützel die Belagerung ab.

Im Jahre 1468 gab es dann eine Panne bei der Verteidigung der „unbezwingbaren Feste“. Die Ungarn belagerten den Spielberg neun Monate lang und nahmen ihn wegen „gänzlicher Erschöpfung der Verteidiger und ihrer Lebensmittel“, wie wir es in der Schule gelernt haben, ein.

Ihre große Zeit hatte die Feste im Dreißigjährigen Krieg. Sie war damals vorbildlich ausgebaut und Sitz der Landesverwaltung von Mähren. 1643 belagerte sie der schwedische General Torstenson zum ersten Mal vergeblich, ihm war auch die strategische Lage des Spielbergs bewußt geworden, der wie ein Riegel jedem Angreifer den Vormarsch nach Wien versperrte. Aber der Jubel, der nach dem Abzug der Feinde in Brünn geherrscht haben mag, war verfrüht, denn zwei Jahre später standen die Schweden erneut vor der „kalten Kuchel“ und Torstenson — von dem dieser Ausdruck stammen soll — hatte geschworen, sie in acht Tagen einzunehmen.

Aus den acht Tagen wurde eine Belagerung von acht Monaten, denn diesmal hatte ein wirklicher Fachmann, Oberst Radvit de Souches, vorgesorgt. Die Magazine waren gefüllt, die geringe Besatzung durch eine Studen­tenlegion und eine Bürgerwehr ergänzt worden. Minen, die weit in die Ebene vorgetrieben worden waren, gingen zum Schaden der Belagerer immer wieder hoch; Ausfälle der Eingeschlossenen brachten Verwirrung und forderten blutige Opfer von den Schweden, die einmal auch beinahe ihren General verloren hätten. Am 15. August 1646 — den Tag feierten die Brünner seit­her als „Schwedenfest“ — brachen die Angreifer die Belagerung ab und schlossen damit eine geschichtliche Entwicklung ab, denn was wäre damals passiert, wenn. . . Der Spielberg bedeutete nämlich das letzte Hindernis der Schweden vor Wien.

Auch der Alte Fritz hatte keine Freude an ihm. Zwei Monate lang wurde die Festung im Jahre 1742 von den Preußen belagert. Wieder bewies sie Freund und Feind ihre strategische Bedeutung. Friedrich der Große fand auch sonst für Mähren keine besondere Anerkennung: „Ce mauvais pays“ (Dieses elende Land) grollte er, der die Zeit über in einem kleinen Ort bei Kremsier zugebracht hatte, bis er dasselbe tat, wie vorher der Schwedengeneral, er zog unverrichteter Dinge ab. Ob wegen Aussichtslosigkeit oder wegen seiner immer beweglichen Kriegführung, mögen diejenigen feststellen, die immer gerne in der Vergangenheit schnüf­feln. Die Brünner aber hatten erneut Grund zum Jubel.

1805 und 1809 war Napoleon hier als ungebetener Gast eingekehrt. Damals wurde der Spielberg nicht verteidigt, denn Festungen dieser Art begannen ihre Bedeutung zu verlieren. Die Franzosen sprengten den Großteil der Werke, und von diesem Zeitpunkt an erlangte er eine traurige Berühmtheit als Staatsgefängnis. Allerdings war er dies nebenbei auch schon früher gewesen, so im Dreißigjährigen Krieg, als man mehrere Aufständische und Teilnehmer an der Schlacht am Weißen Berge hier lebenslänglich einsperrte. Die ganze Anlage war auch nach den Vorstellungen der damaligen Zeit für solche Zwecke geradezu ideal. Das veranlaßte wohl die Wiener Regierung 1788, durch eine Verord­nung den Spielberg als offizielles Staatsgefängnis zu erklären und zu verfügen, „daß er Sträflinge aus den österreichischen Erblanden und Galizien aufzunehmen habe, deren Haftzeit mehr als acht Jahre betrage“. Es durften aber ausdrücklich nur solche Verurteilte ein­geliefert werden, deren körperliche Verfassung sich für die noch strengere Strafe des „Schiffziehens“ nicht eignete.

Joseph II. hat zwar nach seiner historisch gewordenen Besichtigung einen Teil der Zellen sperren lassen, doch blieben die anderen noch immer schlimm genug. Erst 1836 sind die Kasematten aufgelassen worden, aber immer noch hockten Unglückliche in den verschiedenen Verliesen und Bastionen, bis Franz Joseph I. diesem Spuk im Jahre 1855 ein Ende bereitete.

Die in den Felsen gehauenen Zellen lagen in drei Stockwerken übereinander. Während die oberen noch durch schmale Lichtspalten erhellt waren, herrschte in den anderen tiefste Finsternis. Die Räume waren durch Holzbohlen getrennt. Es gab Einzel- und Gemeinschafts­zellen. Einige ausgenommen, waren sie grauenhafte Aus­geburten teuflischer Phantasie, die auch den härtesten und widerstandsfähigsten Menschen binnen kurzer Zeit vernichten mußten. An Händen und Füßen gefesselt, um die Brust einen breiten Metallbügel, an die Wand geschmiedet, so lehnten die Häftlinge an der Mauer, die für den Kopf und den Körper ausgebuchtet war. Die Keller waren untereinander verbunden, so daß sich jede Bewegung bei Tag und Nacht auf den Nachbarn übertrug. Eine hölzerne Pritsche war das Lager, auf dem sich die Häftlinge aber nicht zum Schlafen aus­strecken konnten, wenn man wegen der schweren Kugeln und Schellen an den Ketten und den übrigen Begleitumständen überhaupt von Schlaf sprechen konnte. Die Hände der Angeschmiedeten reichten nur bis zur Öffnung in der Türe, wo einmal am Tag ein Krug Wasser und etwas Brot hingestellt wurden. Wasser troff von den Wänden und Decken. Der Häftling, in seinem eigenen Unrat liegend, wurde von Ratten und Un­geziefer heimgesucht, die ihn in der naßkalten Finsternis langsam zum Irrsinn trieben. Es gab auch eigene Folter­kammern, in denen man Geständnisse erpreßte und Sonderstrafen erteilte. Kurz und gut, eine Hölle, deren Vorhandensein im einzelnen dem Staatsbürger dieser Zeit nur ganz unklar bekannt war, denn dieser Teil der Justiz war ein Staatsgeheimnis. Man munkelte zwar davon, Einzelheiten waren aber in all den Jahrzehnten unbekannt und kamen den Menschen auch nach Auf­lassung des Gefängnisses nur ganz ungenau und schemen­haft zur Kenntnis.

Man darf sich nicht wundern, daß die meisten Häft­linge schon nach kurzer Zeit wahnsinnig wurden und buchstäblich wie Tiere verendeten. Allerdings, wie ge­sagt, die „schlimmen Separationen“ waren nicht immer in Betrieb und neben ihnen gab es auch Gefängnisteile, die nicht ganz so fürchterlich waren. Die meterdicken Mauern, die düstere Anlage und das Fehlen jeglicher sanitärer Einrichtungen, dazu die elende Kost und die brutale Behandlung durch die Wachmannschaften waren Grund genug, um einen Menschen bereits nach wenigen Monaten in die Arme von Schwindsucht, Gicht und Wahnsinn zu treiben. Und doch haben viele durch­gehalten, oft jahrelang!

Wo man mit der langen Reihe der Häftlinge, die bekannt sind, beginnen soll, ist schwer zu sagen. Uber den Pandurenoberst Freiherr von der Trenck, der nach dreijähriger Haft starb und den man wegen „Gewalt und Grausamkeiten“ gefangengesetzt hatte, über den sächsischen Sekretär Friedrich Wilhelm Menzel, der durch den Verrat geheimer Dokumente an Friedrich II. einer der Auslöser des Siebenjährigen Krieges war, bis zum Feldzeugmeister Graf Bonneval, der ursprünglich zu den besten Gehilfen des Prinzen Eugen gehörte, ist es eine lange Reihe unterschiedlichster Gestalten; Schuld und Sühne, menschliche Höhen und Tiefen sowie Grau­samkeiten lagen eng nebeneinander.

Als sich Österreich nur noch mit Gewalt in den norditalienischen Provinzen halten konnte, kam ein Strom italienischer Patrioten auf den Spielberg. Das waren die Irredentisten, also Männer, die für die „terra irredenta“ — die unbefreite Erde — kämpften, das waren weiters die Carbonari, Mitglieder eines aus den besten Bürgern und Adelskreisen bestehenden Ge­heimbundes ähnlicher Art. Sie alle, einige hundert an der Zahl, waren in der ersten Hälfte des 19. Jahr­hunderts auf dem Spielberg, haben hier gelitten und sind zum größten Teil hier gestorben. Auch die An­führer des Galizischen Aufstandes von 1845, die man zuerst zum Tode und dann zu langjährigen Zuchthaus­strafen verurteilt hatte, sind den bitteren Weg durch das Tor dieser Festung gegangen.

Das erschütterndste von allen Schicksalen, über die berichtet wird, ist das des französischen Dichters Alexandre Audryane. Er wurde jahrelang hier fest­gehalten und verfaßte auf der „Feste Spylenberg“ ein Manuskript, das den Titel „Das Wesen des Menschen“ trug. Schon dieser Titel in dieser Umgebung und unter diesen Verhältnissen ist ein Stück unbeschreiblicher Tragik menschlichen Schicksals. Als die Tinte zu Ende war, gab man ihm keine neue mehr. Man wollte ihn strafen. Man verbot ihm das Schreiben nicht, aber man verweigerte ihm einfach die Tinte. Da zapfte er seine Adern an und schrieb seine Gedanken mit eigenem Blute zu Ende. Was er sich wohl auch zuschulden hatte kommen lassen, spielt hier keine Rolle mehr, er opferte sein Blut für das, was er zu sagen hatte. Als er mit seiner Arbeit fertig war, holte man ihn heraus. Dann wurde das Manuskript vor seinen Augen Blatt für Blatt zerrissen und verbrannt. Uns ist nicht bekannt, ob er danach weitergelebt hat oder ob er wahnsinnig wurde.

Da „saßen ein“, wie man sagt: der vornehme Graf und Feldmarschall Olivier Wallin, der mit den Türken Frieden schloß. Das hätte er nicht tun sollen, denn der Friede wurde von Österreich 1739 nicht anerkannt. Auch der französische Postmeister Drouet aus St. Mennehould war hier, der Ludwig XVI. und die Habsburger­tochter Marie Antoinette auf der Flucht verraten, den Republikanern ausgeliefert und dadurch aufs Schaffott gebracht hatte. Seine Verhaftung und Entführung ist ein Stück bis heute nicht gelüfteter Tätigkeit eines „Geheimkommandos“. In Prag hatte man den Sekre- tarius Karl David schon zum Galgen geführt und dann zu lebenslänglicher Haft „begnadigt“, weil er Kriegs­geheimnisse des Kaisers 1743 an die Bayern verraten hatte, denn damals standen sich unsere Vorfahren und die Bayern als Feinde gegenüber.

Auch der sagenhafte Räuberhauptmann Babinsky aus Pokratitz bei Leitmeritz, mit dem die Großmütter noch zu meiner Zeit die Kinder schreckten, büßte hier. Der unschuldig in Haft gehaltene Revierförster Anton, den man als Beispiel dafür, daß Unschuld immer — wenn auch reichlich spät — an den Tag kommt, anführen kann, der Wasenknecht Thomas Grasl, der elf Jahre Spielberg hinter sich brachte, und dessen Bruder, der Räuberhauptmann gleichen Namens, dem die Wiener später kurzerhand den Kopf herunterschlugen, gehörten auch dazu. Von einem Wildschützen mit Namen Alois Vincenz wird berichtet, der für seine Taten zwanzig Jahre büßte, und ebenso von einer Magd, deren Name getilgt wurde, das heißt, mit ihrer Verurteilung verlor sie auch ihn und wurde nur noch als Nummer geführt. Sie war in einem Minoritenkloster in Prag beschäftigt gewesen und hatte einem jungen Ordensgeistlichen tat­kräftig geholfen, den Guardian des Klosters und acht (!) weitere Ordensbrüder zu vergiften, damit dieser, über dessen Ende man nichts erfahren hat, selbst zu dem Amte hätte kommen können.

Einer der bedeutendsten Brünner, der Bürgermeister und Geschichtsforscher Christian d’Elvert (1803—1896), der 1848 auch Mitglied der Frankfurter Nationalver­sammlung war, ließ in den siebziger Jahren die bis dahin kahlen Höhen des Spielberges mit Anlagen, schönen Wegen und herrlichem Baumschmuck versehen und schuf so einen der schönsten, zu einem Park ge­stalteten Berge des Landes. Die Menschen, die in unseren Tagen auf den Spielberg kamen, ahnten nur wenig von seiner abwechslungsreichen Geschichte, auch von dem Grauen hinter den Spielbergmauern ist nur dann und wann etwas an die Öffentlichkeit gelangt; manches war Legende, vieles ist in Vergessenheit geraten, und der Spielberg erfreute sich nicht nur wegen seiner Schatten und Ruheplätze im Sommer größter Beliebt­heit bei alt und jung.               


Reinhard Pozorny

(aus"Blühendes Mährerland" – Eckartschriften Heft 95)