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Die Geschichte der Brünner Judengemeinde
von König Přemysl Ottokar II. bis zur ČSR

Teil 2 – Zeitzeugen zum gleichenThema (Auszüge )

 

Herbert Leger schreibt dazu

Menschen wie du und ich
Juden in Brünn ?

Ja, ich erinnere mich noch an sie, so gut wie man sich als damals Zehnjähriger an etwas erinnert. Aber vielleicht doch etwas besser als andere. Das liegt daran, daß meine Eltern ein Haus in der oberen Ponawkagasse besaßen. Wenn uns der Weg über die „Preßburger“ zur „Kröna“ führte, kamen wir an der Synagoge vorbei. Für uns war sie ein Gebäude wie jedes andere.
Möglicherweise lebten deshalb mehr Juden in unserer Gegend als in anderen Vierteln der Stadt. Das war gut zu beobachten, als sie den gelben Stern tragen mußten. Plötzlich gab es erstaunlich viele Menschen auf der Straße, die so gezeichnet waren. Und im Rückblick scheint mir, daß nicht wenige von ihnen sogar stolz waren auf diese unmenschliche Stigmatisierung.
In unserem Haus lebten vier jüdische Familien. Dazu prunkte ein jüdisches „Möbelhaus“ zur Straße hinaus. Da gab es zunächst das Ehepaar Donath, das in der Etage unter uns eine Vierzimmerwohnung gemietet hatte. Es bereicherte die Preßburger Straße mit einem eleganten Geschäft für Lederartikel. Handtaschen, Handschuhe und Ähnliches kauften wir stets nur in freundschaftlicher Atmosphäre.
Als nächstes trafen wir gelegentlich auf die Hahns. Sie hausten in Nachbarwohnung und besaßen einen Gemischtwarenladen, wo sie sich häufiger aufhielten als daheim. Schließlich, im Hinterhaus, existierte noch ein jüdisches Ehepaar, das eine Schneiderei betrieb.
Besonders lebendig blieben mir unsere vierten jüdischen Mieter in Erinnerung. Es war die Familie Pullover. Die hatte nämlich Kinder, zunächst Fritzi, sehr hübsch und reizvoll, uns „Grasln“ allerdings als Achtzehnjährige weit entrückt. Ich himmelte sie heimlich an, wie das halt so ist, sobald man merkt, daß es noch ein anderes Geschlecht auf der Welt gibt.

Ihr kleiner Bruder Hansi war unser Spielkamerad. Er war ein gewitzter Bursche, der voller Ideen steckte und deshalb bei den Streichen auf Hof unseres Hauses jederzeit wohl gelitten war. Ich könnte schwören, daß man ihn in den ersten Kriegsjahren noch nicht deportiert hatte. In irgendwelchen Kälteferien bauten wir nämlich mit ihm zusammen eine Märklin Dampfmaschine, die sich aus eigener Kraft vorwärtsbewegte.
Die Sensation für uns Kinder war das Möbelhaus. Es verfügte über eine Schreinerei in verschiedenen Schuppen, die sich an die Feuermauer anlehnten. Dort und vor allem im Magazin für gebrauchte Einrichtungsgegenstände eröffnete sich uns eine Abenteuerland-schaft. Und manchmal, in einem weiter entfernten Häuschen ebenfalls im Hof, feierten die Dänemarks, Inhaber des Möbelmarktes, ihr Laubhüttenfest.
Wenn wir dann, nachdem die Vorbereitungen für die Feier abgeschlossen waren, trotz Verbot durch die Vorhangspalten in die Laube spähten, überkam uns angesichts der sakralen Geräte doch einiges Befremden. Doch die Eltern erklärten uns den Sinn der Sache, und da begriffen wir, daß es noch andere Formen der Religiosität gab als die unseren und waren es zufrieden.
In der Volksschule in der Quergasse hatte ich ein knapp halbes Dutzend jüdischer Klassen-kameradinnen und Klassenkameraden. Ich vermag mich an sie, wie an die anderen Mitschüler auch, kaum noch zu erinnern. Nur von einem dunkelhaarigen Mädchen sehe ich noch das Bild vor mir, wahrscheinlich weil ich einige Zeit neben ihr saß und sie mich mit Stollwerkbonbons fütterte.
Bestens in Erinnerung behielt ich dagegen die jüdischen Freunde meines um fünf Jahre älteren Bruders. Als er so um die Dreizehn war, erfand er mit seinem Spezi Skurek einen „Wassermotor“. Diese Absurdität war insofern aufregend, als die beiden Schlitzohren zu dessen Entwicklung die umfangreichen Dachbodengelaße unserer Familie plünderten, und zwar weniger der Arbeitsmaterialien wegen. Sie nutzten die Beute zur Beschaffung von Betriebskapital, indem sie diese wer weiß wo verkauften. Ein weiterer jüdischer Freund meines Bruders, bereits während seiner Zeit am Realgymnasium, hieß Leo Tauber. Mein Bruder Peter betätigte sich schon als Halbwüchsiger als Maler. Mit Hilfe der im väterlichen Atelier „abgestaubten“ Pinsel und Farbtuben fabrizierte er quadratmetergroße Ölgemälde. Und das tat Freund Tauber ebenso. Der künstlerische Wettstreit endete handgreiflich. Ich sehe die beiden verhinderten van Goghs immer noch vor mir, wie sie aus dem Rahmen ihrer vernichteten Werke reichlich dämlich in die Welt guckten, nachdem sie sich die Gemälde gegenseitig auf den Kopf gedonnert hatten.

Jugenderinnerungen
Sie beziehen Juden ebenso ein wie alle die anderen Freundinnen und Kameraden der frühen Jahre. In unserer Familie war Antisemitismus ein Fremdwort. Mein Vater als Dozent an der Brünner Technischen Hochschule und anerkannter akademischer Maler besaß zahlreiche jüdische Bekannte und Freunde. Als Hofrestaurator des Fürsten Liechtenstein stand er der Familie Oppenheimer zur Seite, als sie einen Teil ihrer Kunstschätze in die Emigration mitnehmen wollte. Juden gingen bei uns ein und aus wie jeder andere uns Nahestehende.
Das Auseitern der jüdischen Mitbürger aus der Brünner deutschen Gesellschaft erlebte ich nur sehr am Rande. Das kam auch daher, daß ich 1939 ins Realgymnasium aufgenommen wurde. Solange ich noch in der Volksschule war, gab es dort die jüdischen Mitschüler noch, und als ich in der „Oberschule“ ankam, waren keine mehr von ihnen da. Doch daß mir das als Politikum bewußt geworden wäre, kann ich nicht sagen.

Ein Letztes noch.
Vor dem „Abtransport nach Theresienstadt“ verabschiedeten sich die vier Judenfamilien aus unserem Haus von uns. Ich erblicke sie immer noch, wie sie von unserer Wohnungstür davon trotten, die Männer mit den hohen schwarzen Hüten und die Frauen mit den Kopftüchern. Ihre Köfferchen und Taschen sind sehr klein. Meine Eltern begleiteten unsere Juden auf den Hauptbahnhof und warteten, bis sie im Zug saßen. Bedrückt kehrten sie zurück. Und mein Vater sagte das, was so mancher damals dachte: „Die sehen wir nie wieder.“ So war es denn auch.

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Franz Stratil schreibt dazu:

Erinnerungen an Begegnungen mit jüdischen
Mitbürgern in Brünn in den Jahren
1929 bis 1941

Vorbemerkung: Die Personen, über die im Folgenden berichtet wird, waren deutschsprachig und wurden von mir als Deutsche der Tschechoslowakischen Republik empfunden.

1.Schulfreundschaften
Das Zusammenleben mit Mitschülerinnen und Mitschülern mosaischen Glaubens — so war die Sprachregelung an den Schulen — war für mich nichts Besonderes, sondern das Normale. Bis zum Schuljahr 1938/39 trug der Prozentsatz jüdischer Mitschüler in allen Schulklassen, die ich besucht habe, etwa 15 — 20 % der Schülerschaft. Im Gymnasium fiel mir auf, daß jüdische Mitschüler nur vereinzelt um Schulgeldbefreiung nachsuchten. Daraus schließe ich heute, daß die meisten von ihnen in guten finanziellen Verhältnissen lebten.
Aus der „Übungsschule“, nach heutigem, hiesigem Sprachgebrauch Volksschule, sind mir zwei Namen in Erinnerung geblieben: STASTNY und LOW-BEER. Mit Letzterem hatte ich einen über den Schulbetrieb hinausgehenden freundschaftlichen Kontakt. Darum war ich auch mit anderen Freunden zur Feier seines 10. Geburtstages in das Haus seiner Eltern, einer Villa mit Park im Schreibwald, eingeladen. Sein Vater war ein in Brünn bekannter Fabrikant, wie meine Eltern sagten.
Ab der gymnasialen Schulzeit im Jahre 1934 verdichten sich bei mir Erinnerungen jüdische Mitschüler zu vertieften Eindrücken. Drei möchte ich besonders erwähnen, weil wir uns gegenseitig bei krankheitsbedingte Fehlen in der Schule auch telefonisch über den Unterrichtsbetrieb informierten und uns gegenseitig halfen, durch Überlassung der Schulhefte den versäumten Unterrichtsstoff nachzuholen. Es waren dies, wie ich auch aus dem mir vorliegenden Schülerverzeichnis des LXVII. Jahresbericht des Deutschen Staatsrealgymnasiums für das Schuljahr 1937/38 ersehen kann, TRAUTE WEISZ, ALEXANDER STEIN und HANS WIENER, Schüler mit dem Prädikat „vorzüglich geeignet“. Der Umgang mit jüdischen Mitschülern war und blieb in allen Schulklassen, die ich durchlauft habe, problemfrei, es gab keine Ressentiments. Eine gegenseitige gefühlsmäßige Abneigung hat wohl keiner von uns jemals empfunden Heute werte ich es objektiv auch so.

Eine besondere Erinnerung habe ich an einen jüdischen Mitschüler, mit dem wir es in der Schulkasse IV b im Jahre 1938 nur einige Monate zu tun hatten. MAX NEUMANN war im Februar oder März 1938, vermutlich vor dem Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich, mit seinen Eltern von Wien nach Brünn gekommen. Er war eine Zeitlang mein Banknachbar. Wir besuchten zusammen zwei oder drei Schülervorstellungen im Deutschen Schauspielhaus (am Krautmarkt). Eines Abends tasteten wir uns gesprächsweise an das Thema „Judenverfolgung in Deutschland“ heran. Obgleich man eine Unterhaltung zwischen Fünfzehnjährigen nicht überbewerten soll, so erinnere ich mich doch heute noch deutlich an das traurige Gefühl, das uns damals erfaßte. Die Familie von MAX NEUMANN konnte im Herbst 1938 noch rechtzeitig in die USA emigrieren.

Einiger jüdischer Professoren, so wurden bei uns die Gymnasiallehrer genannt, will ich hier auch gedenken. An zwei Lehrerpersönlichkeiten erinnere ich mich besonders gern. Es waren die Professoren Dr. JOSEF LAMM (für Deutsch und Tschechisch) und LEO ZECKENDORF, der im Laufe der Schuljahre in verschiedenen Klassen bei uns Tschechisch unterrichtete. Er war auch Lehrer für Latein und Geschichte. Prof. ZECKENDORF war in Brünn publizistisch unter dem Pseudonym IXO bekannt. Er veröffentlichte bis 1938 regelmäßig Kolumnen im „Tagesboten“, der am meisten gelesenen deutschen Tageszeitung Brünns. Darum war er für alle am Gymnasium nur der „IXO“. Prof. Dr. LAMM förderte und festigte bei seinen Schülern das Grundwissen an deutscher Grammatik von der 1. Klasse an. Durch diesen Deutschlehrer wurde bei uns auch ein frühzeitiges Interesse an klassischer Literatur geweckt. Er war ein Befürworter und Förderer der zahlreichen Vorstellungen für Schüler im Deutschen Schauspielhaus (am Krautmarkt) ab der 1. Klasse.

Im Laufe des Schuljahres 1938/39 verließen die Lehrer und Schüler jüdischen Glaubens unser Gymnasium oder besser gesagt: Sie mußten es verlassen. Es ist mir leider nicht bekannt, ob für den genannten Personenkreis danach noch die Möglichkeit bestand, im Reform- Realgymnasiums des Jüdischen Vereins (jüd. Ver. RRG) in Brünn unterzukommen. Die Kontakte waren abgebrochen.

2. Begegnungen — gesellschaftlicher Umgang
Bericht über Begegnungen mit jüdischen Mitbürgern muß ich auf die Ebene meiner Eltern anheben. Diese führten einen regen gesellschaftlichen Verkehr und — man könnte es so nennen — ein gastliches Haus. Vater, auch von Berufs wegen, und Mutter hatten zahlreiche jüdische Bekannte. Für einige von ihnen paßt die Bezeichnung Freunde besser. Man besuchte sich regelmäßig. Meine Mutter hatte, wie andere Damen auch, einen „Jour fixe“ eingerichtet. Zu Beginn der dreißiger Jahre gab es bei uns auch zwei kleine Hausbälle in der Zeit des Faschings, deren Organisation meiner Mutter oblag. Da mein um zwei Jahre ältere Bruder Hans und ich gelegentlich die Vorbereitungen einbezogen wurden, bekam ich die gesellschaftlichen Aktivitäten im Hause mit. Besonders herzliche Kontakte bestanden zur Familie des jüdischen Patentanwalts FISCHER mit seiner Frau (genannt Mimmi) und den beiden jüngeren Buben Peter und Paul. Mir ist noch ein gemeinsamer Urlaub mit Familie Fischer im Sommer 1935 in den Beskiden in Erinnerung. Enge gesellschaftliche Beziehungen bestanden auch zur Familie des Bankdirektors KRAUS. Dieser hatte im Herbst 1938, wie meine Eltern sagten, vor dem Fortzug der Familie aus Brünn seine Villa im Schreibwald meinem Vater zu einem günstigen Preis zum Kauf angeboten. Der kam aber nicht zustande. Von beiden genannten Familien haben meine Eltern über die Wirren des Jahres 1945 mit eigenem Exodus einige Fotos herüber retten können. Kontakte bestanden seitens meiner Eltern auch zu einer Familie BERGAN. Im Laufe des Jahres 1939 schliefen die Kontakte zwischen unseren jüdischen Bekannten und uns ein. Als mein Bruder und ich mit meinen Eltern darüber sprachen, erfuhren wir, daß der Verkehr von unseren jüdischen Bekannten eingestellt wurde. Sie wollten uns nicht kompromittieren.

3. Geschäftswelt
Meine Erinnerung an von jüdischen Bürgern betriebene Geschäfte sind eng mit meiner Mutter verknüpft, die diese Art geschäftlicher Kontakte für die Familie zu betreiben hatte und die ich als Junge bei ihren Besorgungen gelegentlich begleitete.
Die Gebrüder KOHN hatten am Krautmarkt einen Handel mit Stoffen und ein größeres Ladengeschäft mit diversen Angestellten. Mutter war gute Kundin, denn die Generation meiner Eltern kaufte nichts „von der Stange“, sondern ließ „schneidern“ und dazu waren Stoffe nötig. Über zu zahlenden Preise mußte man sich einigen und die wurden ausge-handelt, was meine Mutter vortrefflich konnte.
Ein weiteres Geschäft, ganz in der Nähe vom Krautmarkt, war Kurzwaren- und Wäschegeschäft SALUS in der Adlergasse gegenüber Drogerie LINKA und ROSOLA. War es zunächst durchaus üblich, auch bei SALUS zu handeln, so hing eines Tages — etwa 1937 — an der Ladentüre ein Schild: „Pevný ceny!“ (Feste Preise!)
Ein gewisser, kleiner Kleidungsbedarf für uns Jungen wurde gelegentlich im Bekleidungs-haus ORNSTElN in der Masarykstraße gedeckt. Ein Schüler dieses Namens ging im Gymnasium in die Klasse meines Bruders Hans (Geburtsjahrgang 1921). Dieser hatte zahlreiche jüdische Mitschiller, u.a. den Sohn von Prof. ZECKENDORF, aber von seinen Klassenkameraden habe ich nur am Rande etwas mitbekommen. Deutlicher erinnere ich mich an einen TOMMY FRANKE, Sohn eines Rechtsanwalts, der schon seit Volksschulzeiten öfters meinen Bruder besuchte. — Leider kann mir mein Bruder beim „Kramen in den Erinnerungen“ nicht mehr helfen, weil er vor 2 Jahren gestorben ist.

4. Ausklang
Die Errichtung des Protektorats im März 1939 hatte für die jüdischen Bevölkerungsteile schwerwiegende Folgen in Bezug auf das Geschäftsleben und alle gesellschaftlichen und kulturellen Betätigungen. Noch gab es bis zum Jahre 1941 die Menschen selbst, denen man begegnen konnte und die mit ihrer besonderen Kennzeichnung an der Kleidung leicht zu erkennen waren. Da ihnen fast alles verboten und verschlossen war, sah man sie bei gutem Wetter auf den Bänken im Augarten und im Park des Winterhollerplatzes sitzen.
Zwei Ereignisse haben sich mir in der Erinnerung eingeprägt, für die ich in der Rückschau — es ist 62 Jahre her — ein beklemmendes Gefühl empfinde. Es war im Jahre 1940, als ich beim Gang zur Innenstadt am Lažanskyplatz vor der Statthalterei einen Menschenauflauf bemerkte. Wie ich sah, machten mehrere Männer, an deren schwarzen Uniformen und Mützen stilisierte Liktorenbündel (FASCES) wie bei den italienischen „Schwarzhemden“ deutlich zu sehen waren, Jagd auf Juden. Einige der Gejagten flüchteten in die Thomaskirche. Die auch anwesende Protektoratspolizei griff nicht ein. Später wurde bekannt, natürlich nicht offiziell, daß diese „Aktion“ von tschechischen Faschisten ausgegangen war. Wer hinter diesen stand, ist mir nicht bekannt geworden.
Eine letzte Begegnung mit jüdischen Brünnern hatte ich im Spätsommer 1941. In der Französischen Straße sah ich eine größere Gruppe von Menschen, die unter Bewachung ihre mit Rucksäcken und Bündeln beladenen Handkarren in Richtung Glacis zogen. Man konnte sich denken, daß sie zum Bahnhof gebracht wurden.
Da offiziell nichts bekannt wurde, versuchte man aus Gerüchten, die durchsickerten, das eine oder das andere herauszufiltern. Es fiel auf, daß im Herbst 1941 die Parkbänke im Augarten und am Winterhollerplatz leer blieben.

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Leopold Polzer schreibt dazu:

In meinen Jugendjahren in Priesenitz traten jüdische Mitbürger kaum in Erscheinung. Der Jude in Priesenitz war einfach da. Er wohnte hier, verfertigte aus Karton Schachteln und transportiere sie oft im vollgestopften Autobus nach Brünn. Fiel also nicht besonders auf. Ein anderer Jude kam als Getreidekäufer zu den Bauern, feilschte um den Preis und kam beim Verkaufsabschluß sicher nicht zu kurz. In Mödritz gab es einen jüdischen Tierarzt, der bei den Bauern gut angesehen war. Des jüdischen Konsumverwalters Töchterlein poussierte mit einem Priesenitzer (Katholiken), kein Mensch nahm daran Anstoß.
Direkten Kontakt hatte ich mit Juden erst in der Schule. Es waren die Kinder der Textilfabrikanten Stiassni und Löw-Beer. Sehr angefreundet hatte ich mich mit Alex Steinbrecher. Wir sammelten Kieselstein in der Schwarza und anschließend kam er mit nach Hause. Ob er mit mir Schmalzbrot, Speck oder Geräuchertes aß - woran es am Bauernhof nicht fehlte -, weiß ich nicht mehr. Bei ihm zuhause war ich, soweit ich mich erinnern kann, nicht eingeladen.
Unser Deutschlehrer war jüdischen Glaubens und ein gestrenger Herr. Mäuschenstill waren wir in der Erwartung, wen es wohl treffen würde, wenn er sein Notizbüchlein zückte, kurz blätterte und dann eine Namen aufrief. Der Lehrer der tschechischen Sprache war ebenfalls jüdischen Glaubens. Es ging zwar auch schön streng im Unterricht zu, aber er hatte ein Herz für uns geplagte Schüler. Und wenn wir gelegentlich diese Bitte an die Tafel schrieben: „Prosíme pane profesore, vykládejte nám pohádku“, dann lehnte er sich schmunzelnd an die erste Bank, begann zu erzählen und wir waren zufrieden.
Was ist mit ihnen, den hervorragenden Lehrkräften wohl geschehenn als die deutschen Truppen da spätere Protektorat besetzten ? Konnte sie sich vor den Geißeln Hitlers und Heydrichs rechtzeitig ins Ausland absetzen ?

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Lisbeth Wagner, Köln trug folgendes bei

Zum Thema „Die jüdische Gemeinde in Brünn“

Bei dem großen Salzburger Hochschultreffen begegnete ich der Schwester meiner Schulfreundin. Diese regte mich an, meine Mitschülerinnen zu suchen. Ein schwieriges Unterfangen. Wir hatten in unserer Klasse 30 —40 % jüdische Mitschülerinnen. Nachdem ich mehrere Suchdienste angeschrieben hatte, bekam ich vom Roten Kreuz in Arolsen folgende Auskünfte:

Ingeborg Herschthal war im Ghetto Theresienstadt, kam mit Transport 76a nach Warschau. Laut Arolsen war dies ein Todestransport.
Lisbeth Katscher war häusliche Schülerin. Sie kam nur zu Prüfungen in unsere Schule und war Klassenbeste. Auch sie kam nach Theresienstadt.Von dort mit Transport Ap 366 nach Ostrowo (laut Arolsen ein Todestransport).
Anneliese Kulka-Veitch, ist in Schottland verheiratet, hat Kinder und Enkelkinder und führt ein glückliches Familienleben.
Gerda Deutsch (Mausi) Dostal lebte mit einer Tochter in Mailand. Ihr Mann soll sie im Koffer über die Grenze gebracht haben. Sie gibt an, daß Rita Reis gestorben ist.
Meisel Rosa Ulmann ist am 26. 6. 1945 in Bergen-Belsen gestorben.
Renee Weil kam zuerst nach Theresienstadt, dann mit Transport AAK nach Trawnicki. (Todestransport).
Vera Nettl Jelinek, deren erster Mann Pollak in Auschwitz starb, hat das KZ überstanden. Wiederverheiratet mit Jelinek, lebt sie jetzt mit Kindern und Enkeln in Australien und kann nur noch englisch schreiben.
Hannelore Schiller, Türkei, zuerst Ghetto Theresienstadt, dann Auschwitz mit Transport Es 1051 nach Auschwitz.
Lydia Rosenblatt (Gailia), gest. KZ Auschwitz.
Dr. Fuchs, Patentanwalt ‚ verheiratet mit einer Nichtjüdin (3 Töchter), tat viel für die deutsche Kultur. Hatte 3 Häuser in Kumrowitz. Die Familie musste in der Zeit der deutschen Besetzung das Haus verlassen. Einer Tochter ist mit Baron Prümmer verheiratet. Die Familienmitglieder wurden nach 1945 als Deutsche betrachtet. In der kommunistischen Zeit galten sie als Kapitalisten und hatten viel zu leiden.

Über die Mitschüler meines Mannes haben wir Folgendes ermitteln können:
Mitschüler Taub heißt jetzt Taylor, wohnt in New York, war Taufpate der Kreisky-Enkel. Paul Rosenbaum, jetzt Rogers, wohnt in den USA und ist Vertreter von Bleyle.
Edith Friedjung, jetzt Winterstein, lebt jetzt in Johannisburg (Südafrika). Drei Söhne sind vor dem Ende der Apartheid nach Amerika ausgewandert.
Mitschüler Herbert Löwbeer lebt in England.

Frau Ilse Weitmann, Glockengasse 1/15, A 1020 Wien, schrieb zum Thema

Jüdische Gemeinde Brünns

Ich habe mich sehr gefreut, daß wir auch erwähnt werden. Ich wurde am 17. August 1919 in Brünn, Neugasse 3, als zweites Kind von Käthe und Arthur Bardos geboren.
Als am 15. März 1939 das Protektorat entstand, änderte sich unser Leben. Ende des Jahres 1941 kamen wir nach Theresienstadt, im Jänner 1942 nach Riga ins Ghetto, dann in verschiedene KZs und schließlich nach Stutthof bei Danzig, wo mein Vater im Dezember 1944 verstarb.
Im Jänner 1945 begann für meine Mutter (53) und mich (26) unser Todesmarsch.(...) Als wir Anfang Juni 1945 in Brünn ankamen, erfuhren wir die für uns sehr traurige Nachricht, daß mein Bruder in Auschwitz ums Leben gekommen war.
Einige Zeit später lernte ich Armin Weltmann, einen der „Überlebenden“, kennen. Wir heirateten und bekamen drei Töchter und vier Enkelsöhne. Leider Gottes bin ich seit vielen Jahren Witwe.