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Die Geschichte der Brünner Judengemeinde
von König Přemysl Ottokar II. bis zur ČSR

Teil 1 – Historischer Rückblick

Sie beginnt mit der Gründung der Stadt. Denn schon während der Regierungszeit von König Přemysl Ottokar II. (1253-1278) wohnten Juden in Brünn. Doch das Schicksal der Brünner Judengemeinde war über die Jahrhunderte hin immer wieder gekennzeichnet von Höhen und Tiefen, von Duldung bis zum Wohlwollen, unterbrochen durch gnadenlose Bedrängnis bis hin zur Verfolgung und Vertreibung. Ein Jahrhundert nach Přemysl Ottokar sahen sich die Juden, namentlich in den Städten des deutschen Reiches, grundlosen Anschuldigungen und erbitterter Verfolgung ausgesetzt, weil sie für die Pest, den „schwarzen Tod“, verantwortlich gemacht wurden; man beschuldigte sie, die Brunnen vergiftet zu haben. Brünn war davon allerdings nicht betroffen, im Gegenteil, der Luxemburger Karl, der spätere Kaiser Karl IV., der die Markgrafschaft Mähren verwaltete, erließ Regelungen, die den Zuzug von Juden in die Stadt in großem Umfange möglich machten.

Die Hussitenkriege
Dem machte erst der in den Hussitenkriegen entfachte Glaubensfanatismus, wie so oft gepaart mit Geldneid, ein Ende, was schließlich zur Vertreibung der Brünner Judengemeinde führte. Ihr Los, später etwas gebessert, verschlechterte sich erneut, als der Glaubenseiferer und Prediger Capistrano, der die Hussiten zum „wahren Glauben“ zurückgewinnen sollte, die Szene beherrschte. Dieser Mönch wurde nicht zu Unrecht „Geißel der Juden“ genannt. So mußten die Brünner Juden 1454 erneut die Stadt verlassen, und König Ladislav V. schenkte jüdischen Haus- und Grundbesitz sowie den Judenfriedhof der Gemeinde Brünn. Da die Juden kein Wohnrecht in der Stadt hatten, siedelten sie sich in näherer oder weiterer Entfernung an. Das Betreten der Stadt war ihnen nur tagsüber und nur gegen Entrichtung der „Leibmaut“ möglich.

Der 30-jährige Krieg
änderte das Schicksal der Juden und ihre Stellung, weil manche königlichen Städte von ihnen mit hohen Darlehen versorgt wurden. Daraufhin erneuerte Kaiser Ferdinand II. (1619-1637) ihre Privilegien und stellte ihre Rechte als Kauf- und Handelsleute wieder her. Diese „Restitution“ wurde aber von vielen Städten, leider auch von Brünn, durch schlaue Verwaltungsvorschriften eingeengt, ja unterlaufen. Diese Schikanen zu schildern, würde unseren Rahmen sprengen.

Die Zeit Maria Theresias
Während der Regierungszeit Maria Theresias mußten die Juden anfänglich auch schwer leiden, doch gelang es einflußreichen jüdischen Beratern am Hofe Gehör zu finden und die Aufhebung der Verfolgungsmaßnahmen zu erreichen. In diese Zeit fällt auch die Errichtung einer Weberei, Färberei und Fabrik für Wäscheerzeugnisse in Brünn.
Als die Regierung mit diesem Projekt Schiffbruch erlitt, wurde die Fabrik von einem Konsortium übernommen, in dem viele Juden saßen, die jetzt ein Wörtchen mitzureden hatten, obwohl die Leitung des Projekts dem Holländer Leopold von Köffiller übertragen wurde. Auch die erste Druckerei hebräischer Bücher entstand zu dieser Zeit in Brünn.

Die Zeit von Kaiser Josef II.
Erst die Regierungszeit von Josef II., und der Erlaß seines Toleranzediktes 1782 hob die Sonderbestimmungen für Juden auf, die diesen schwere und drückende Auflagen gebracht hatten. Auch unter den drei Nachfolgern von Kaiser Joseph konnte sich die Brünner Judengemeinde weiter entwickeln. Obwohl damals in der Stadt und in den Vorstädten nur wenige Juden wohnen durften — eine Volkszählung aus dem Jahre 1804 erwähnt insgesamt nur 135 —‚ waren sie bereits zu einem einflußreichen Wirtschaftsfaktor geworden. Zu ihren Domänen gehörten der Wollhandel, die neue Tuchfabrikation und die Brünner Modeartikel, die reißenden Absatz fanden, besonders in Wien, das durch die Kaiser-Ferdinands-Nordbahn leichter erreichbar wurde. Dort war im Schicksalsjahr 1848 Kaiser Franz Josef II. auf den Thron gelangt, der die Umgestaltung der Monarchie in Angriff nahm, hauptsächlich durch die Gleichberechtigung aller Völker des Reiches und durch die Teilnahme der Volksvertreter an der Gesetzgebung.

Der Beginn der Brünner Kultusgemeinde
Das bisher relativ kleine Häuflein Brünner Juden schickte sich an, die Brünner Kultusgemeinde zu gründen. Obwohl damals nur wenige von ihnen in Brünn selbst wohnten, befanden sich unter ihnen viele, die hohes Ansehen genossen und auch über Einfluß verfügten. Diese, und auch weitere, bewarben sich um Aufnahme in den Brünner Heimatverband, denn nur so erhielten sie die Möglichkeit, um die Bildung einer Gemeinde ansuchen zu können. Es wurde ein Ausschuß mit neun Mitgliedern gebildet, der eine Kultusgemeinde einrichten sollte, als deren wichtigste Aufgabe die Errichtung eines Tempels, eines (jüdischen) Friedhofes und die Berufung eines Rabbiners angesehen wurde.
Bereits 1852 konnte der Friedhof eröffnet werden, die verstorbenen Juden mußten nicht mehr auf auswärtige Friedhöfe überführt werden. Weil jüdische Gottesdienste damals nur in Privatwohnungen gestattet waren, sah man als nächste Aufgabe den Tempelbau an. Doch reaktionäre Strömungen ließen es den Juden ratsam erscheinen, sich vorerst nur um die Bewilligung zur Bildung eines Kultusvereines zu bemühen, als dessen Hauptaufgabe die Aufbringung der Mittel für den Tempelbau angegeben wurde. Dieser israelitische Kultusverein wurde 1856 bewilligt. Im gleichen Jahr wurde auch der Tempelbau vollendet (andere Quelle geben sogar den September 1855 als Einweihungs-termin an).
Es war eine gewaltige Leistung, welche die Brünner Judengemeinde zustande gebracht hatte, denn die Spendenbereitschaft und die Bereitschaft Darlehen zu geben und Vorschüsse einzuräumen, waren beträchtlich. Die Befriedigung über die so entstandene, überaus prächtige Synagoge war groß und allgemein.

1857 hatte Brünn
fast 60 000 Einwohner, 2230 davon waren Juden, aber nur wenige Mitglieder des Kultusvereines. Der Vorstand des Vereines ließ sich jedoch dadurch nicht von dem Ziel abbringen, die Bewilligung die zur Bildung einer selbständigen Religionsgemeinschaft (Kultusgemeinde) zu erlangen, was 1859, wenn auch erst provisorisch, gelang. Eine wichtige Rolle spielte damals der Bankier und Tuchfabrikant Max Gomperz, der spätere Ritter von G., der sich, unterstützt von anderen, für den Fortfall diskriminierender Bestimmungen einsetzte. Denn in der Praxis wurde den Juden immer noch das Niederlassungsrecht und der Erwerb von Grund und Boden versagt, obwohl bereits ein gesetzlicher Anspruch bestand. Die Bemühungen führten 1860 dazu. daß die Juden Grundbesitz im ganzen Land im ganzen Lande erwerben durften, mit ganz geringen örtlichen Einschränkungen.
Noch aber fehlte ein Rabbiner, der nach mehreren Ausschreibungen und Anhörungen in Gestalt von Dr. Baruch Placzek gefunden wurde.
Stark beschäftigte den Vorstand auch die Unterrichtsfrage, weil die Regierung der Ansicht war, es bestünden genügend Volksschulen, so daß die Gründung einer eigenen jüdischen Schule entbehrlich sei. Die vorhandenen Privatschulen wurden schließlich zur Volksschule St. Jakob in der Salzamtsgasse verlegt, wo der Kultusgemeinde durch den Stadtrat Räume unentgeltlich zur Verfügung gestellt wurden. Wiederholt veranstaltete die israelitische Gemeinde Sammlungen aus den verschiedensten Anlässen, so bei den Freiheitskämpfen in Norditalien, während des preußisch-österreichischen Krieges, für notleidenden persische Juden, für Juden, die im russisch-türkischen Krieg vertrieben worden waren usw.

Die Verfassungsgesetze des Jahres 1867
hatten die Regelung der Rechtsverhältnisse der Religionsgemeinschaften zugesagt, aber es wurde 1890, bis das nötige Gesetz verabschiedet wurde, das die äußeren Rechtsverhältnisse der Juden regelte. Damit war der Bildung einer Kultusgemeinde freier Raum gegeben, was der allgemeinen kulturellen und sozialen Entwicklung zugute kam. Auch hier hatte sich wieder ein Gomperz (Julius, Ritter von) besondere Verdienst erworben. Er wurde in Anerkennung der Verdienste, die er in 42 Vorstandsjahren beim Ausbau der Gemeinde erworben hatte, zum Ehrenpräses der Brünner Kultusgemeinde ernannt.

Brünn zählte zu der Zeit über 7000 Juden und ihre Rolle bei der Gründung von Fabriken, sonstigen Industrieunternehmungen, beim Handel und im Bankwesen, als Arzte, Advokaten, Baumeister, Architekten und Ingenieure war aus den Geschicken der Stadt nicht wegzudenken.

Da das Anwachsen der Gemeinde eine Überfüllung des Tempels zur Folge hatte, suchte und fand der Vorstand ein geeignetes Grundstück am Glacis, wo 1905/1906 ein zweiter Tempel erbaut werden konnte. Der Religionsunterricht in den Volks- Bürger- und Mittelschulen wurde durch den neuen Lehrplan bereichert, den Dr. Levy erstellt hatte.

Der 1. Weltkrieg
brachte auch für die Kultusgemeinde zahlreiche Erschwernisse, vor allem finanzielle Engpässe. Dadurch gelang auch nicht die dringend geforderte Erweiterung des jüdischen Friedhofes. Erst 1926 konnten zur Erweiterung zwei Felder dazu gekauft werden.
Große Verdienste erwarb sich die Brünner jüdische Gemeinde bei der Betreuung jüdischer Flüchtlinge, die vor den Russen aus Galizien geflohen und bis Brünn gelangt waren. Damals kamen eine Spendensumme vor über 400.000 Kronen und eine große Menge an Sachspenden zusammen.

Nach dem Zusammenbruch der österr. Monarchie
wurde die tschechoslowakische Republik proklamiert, was auch Veränderungen in der Kultus-gemeinde zur Folge hatte: ein „jüdischer Volksrat“ forderte neue Wahlen, die dann auch 1919 stattfanden. Nach Erarbeitung neuer Statuten fanden 1921 erneut Wahlen statt, bei denen Samuel Beran zum Präsidenten gewählt wurde. Der neuen staatlichen Ordnung Rechnung tragend, wurde in der Verwaltung der Kultusgemeinde die Zweisprachigkeit eingeführt. Dies erfolgte auch mit Rücksicht darauf, daß eine zunehmende Zahl jüdischer Kinder tschechische Volks- und Bürgerschulen besuchte.

Auch kam es in diesen Jahren zu einer gewissen Aufsplitterung. Zu den bereits vor dem Kriege bestehenden Vereinen wie dem jüdisch-nationalern „Theodor-Herzl-Verein“, Makabi, Veritas und der zionistischen Ortsgruppe, trat der Verein „Jüdische Schule“. Diese Schule wurde auch gegründet und befand sich in der Hybeschgasse. Sie bestand aus einer 5-klassigen Volksschule und einem 8-klassigen Reform-Real-Gymnasium Die Zahl der Schüler betrug 1927/28 136 in der Volksschule und 177 im Gymnasium. Ab Schuljahr 1928 wurde Tschechisch als Unterrichtssprache eingeführt. Die Zweisprachigkeit äußerte sich auch in der Gründung eines Bundes der tschechischen Juden (Svaz Čecho-Židů) und im Českožidovský akademický spolek „Kapper“ (Tschechischjüdischen akademischen Verband K.)

In Brünn wurden 1928
10.904 jüdische Seelen gezählt. Die Gemeinde verfügte über zwei Tempel und einen Friedhof. Ohne Zweifel war es der Zielstrebigkeit, welche die jeweils gewählten Leitungsgremien der Brünner jüdischen Gemeinde an den Tag legten, ebenso zu verdanken wie der Solidarität und der Opferbereitschaft der Gemeinde daß diese bald zur mährischen Mustergemeinde wurde. Darum befand sich in Brünn u.a. auch der Sitz des Mährisch-Jüdischen Landesfonds für die Verwaltung des gemeinsamen Vermögens der mährischen Juden und der mährischen Kultusgemeinden.

Mit der Erwähnung der jüdischen Schulen in der Hybeschgasse, den meisten Lesern des Jahres 2011 noch bekannt, mag dieser Rückblick enden. Alles was danach kam, ist im Vorwort erwähnt. Den Rest mögen die individuellen Erinnerungen festhalten, die im Anschluß nachgelesen werden können

Dr. Erich Pillwein

Literatur: Hugo Gold ‚Die Juden und Judengemeinden Mährens in Vergangenheit und Gegenwart, Brünn 1926