wappenkl.gif (1673 Byte)

relief3.gif (6038 Byte)

750 Jahre Stadtrecht und weitere Daten aus der Geschichte Brünns
Vortrag von Dr. Erich Pillwein,

gehalten zur Eröffnung des BRUNA- Jubiläums- Bundestreffen 1993 in Schwäbisch Gmünd

Langfassung.
Zurück zur Kurzfassung

Man hat mir die Aufgabe übertragen über die Geschichte der Stadt Brünn und über ihr 750 Jahre altes Stadtrecht zu berichten.

Ob das eine gute Idee war, wird sich erst zeigen. Denn 1. bin ich kein Historiker; und 2. bin ich überzeugt davon, daß Geschichtsbetrachtungen ohnehin kaum interessieren.

Das liegt wohl daran, daß den meisten Menschen während ihrer Schulzeit Geschichte nicht lebendig genug vermittelt wurde und sich meistens nur darin erschöpfte Jahreszahlen, Schlachten, Herrschernamen und Dynastien auswendig zu lernen; und daß, vielleicht gerade dadurch hervorgerufen, man keinen Sinn darin erkennen könne, sich mit Geschichte zu beschäftigen. Nicht wenige sagen: man kann ja aus der Geschichte ohnehin nichts lernen.

Während das erste, die schlechte Vermittlung, nicht korrigiert werden kann, läßt sich die zweite Ansicht als Vorurteil beweisen und daher auch korrigieren. Man muß nur verdeutlichen, daß sich Geschichte zwar nicht abklatschgleich wiederholt; daß aber viele Grunderkenntnisse, Grundverhaltensmuster, Grundprinzipien immer wieder auftauchen, wenn auch in leicht abgewandelter Form. Man nennt das "Analogie der Abläufe". Man kann also aus Geschichte lernen; und besonders Politiker sollten sich die Zeit dafür nehmen. Aber wann haben Politiker schon Zeit ?

Dabei könnte ein Wort, das Winston Churchill in britischer Kürze prägte, ihnen, aber auch uns, Leitschnur sein: Je weiter man zurückblicken kann, desto weiter wird man vorausschauen.

Und noch ein anderes kluges Wort, das man den in der tschechischen Republik Verantwortlichen zurufen möchte, die nicht bereit sind, sich dem zu stellen, was auch Václav Havel fordert: der Aufarbeitung der Vergangenheit; und das da lautet: Wer seine Geschichte verdrängt, wird verdrängt aus der Geschichte. Aber genug der pessimistischen Vorbemerkungen.

Die Geschichte einer Stadt, die ja schließlich für Brünn eine ganze Reihe von Jahrhunderten umfaßt, in 30 bis 40 Minuten darzustellen -- und länger sollte es nicht dauern, wenn man sich anhaltende Aufmerksamkeit wünscht-- ist ein Ding der Unmöglichkeit. Wenn dann zusätzlich noch auf das 75o-jährige Stadtrecht verwiesen werden soll, wird die Aufgabe noch schwieriger. Der Ausweg -und den schlage ich Ihnen vor- besteht in der Begrenzung.

Befassen wir uns also als erstes mit dem Stadtrecht, auch Stadtrechts- Privilegien genannt, aus dem Jahre 1243, heuer also 750 Jahre alt.

Meine Damen und Herren, ich beginne damit, weil Ihre Aufmerksamkeit jetzt noch frisch ist und Sie daher noch am ehesten Geschmack finden werden an dem, was wir allgemein als trocken und wenig zugänglich empfinden -zumindest solange wir nicht selbst betroffen werden- nämlich Gesetz, Recht und Rechtsprechung.

Viele von uns leben da in einer gewissen Bewußtseinsspaltung. Über Juristen, aber auch über Ärzte, und besonders Zahnärzte -- lästern wir gerne, solange wir sie nicht brauchen; oder machen Witze, plappern Vorurteile nach oder bedenken sie mit Spitznamen. Oder hat noch niemand von Ihnen einen Rechtsvertreter auch mal einen Rechtsverdreher genannt ? Und ein Scherzwort sagt: Viele halten die Jurisprudenz für die Fähigkeit Recht zu behalten, obwohl man es nicht hat.

Sie könnten sich fragen, warum uns das Thema Stadtrecht heute, nach 750 Jahren überhaupt noch berühren und interessieren soll. Das grenzt dann natürlich an die eingangs gestellte Frage, ob und zu welchem Zwecke uns Geschichte und geschichtliche Zusammenhänge interessieren.

Aber auch ohne besonderes Interesse braucht man nicht zu übersehen, welche außerordentliche Bedeutung Gesetze, Recht und Rechtsprechung immer besaßen, seit sie erfunden wurden. Seit also die Menschen es sich abgewöhnten, nur mit der Keule aufeinander los zu gehen.

Lassen Sie mich etwas sagen zu dem Ausdruck Stadtrechtsprivilegien. In der Laiensprache wird Privileg meist mit Vorrecht gleich gesetzt, als Bevorzugung eines Einzelnen oder einer Gruppe; und meist als Ungerechtigkeit angesehen. Im juristischen Sinne ist es eine vom allgemeinen Recht abweichende Sonderstellung, die einem Einzelnen (Individualprivileg) oder einer Personenmehrheit (Generalprivileg) auf Zeit oder auf Dauer verliehen wird. Die Stadtrechtsprivilegien sind also nichts anderes als die Rechtsvorschriften, die der Stadt Brünn und ihren Bürgern verliehen wurden.

Sie entstanden auf gewissen Rechtsgrundlagen, die Herzog Konrad bereits rd. 150 Jahre früher gegeben hatte; und die 1229 von König Ottokar I. auf dem Brünner Landtag bestätigt, erweitert und zu einem Brünner Stadt- und Landrecht zusammengefaßt wurden. Aber immer noch war das Recht unterschiedlich; es galt für die Bürger. Klerus und Adel hatten es verstanden, sich Ausnahmen zu erhalten.

Das geschriebene Recht der damaligen Zeit war überschaubar, wesentlich klarer und faßbarer als das, was im Laufe der Jahrhunderte daraus wurde, und womit wir heute leben müssen. Es war aber teilweise auch rigoroser, wir würden heute sogar sagen brutaler in seinen Strafen. In gewissem Sinne vergleichbar mit dem, was heute die islamischen Fundamentalisten fordern: Rechtsprechung nur nach der Scharia. Und Sie wissen, daß man dort Steinigungen ebenso kennt oder kannte, wie das Abhacken einer Hand. Auch in unserem mittelalterlichen Recht finden wir ähnliche Strafen; denn damals galt das Abschrecken mehr als das Überzeugen. Die Erkenntnisse und Forderungen des Humanismus waren noch nicht in Sicht.

Der Hauptteil der Stadtrechtsprivilegien befaßt sich mit den "Delikten in peinlichen Sachen", oder, wie wir heute sagen würden, mit dem Strafrecht. Hier finden wir recht grausame Strafen: z.B. Enthauptung für Totschlag, Buße durch den Strang bei Diebstahl, wenn der Wert 60 Denarien und mehr betrug, oder Brandmarkung mit glühendem Eisen im Gesicht. Verletzungen an Haupt oder Gliedern wurde nach dem Grundsatz Auge um Auge geahndet, d.h., die gleiche Verletzung dem Schuldigen zugefügt.

Christian d' Elvert, einer der Brünner deutschen Bürgermeister, und einer der begabtesten dazu, schrieb in seinem Buch "Versuch einer Geschichte Brünns": "Freilich ist es gewagt und gefehlt, die Begriffe unserer auf die Satzungen und Einrichtungen damaliger Zeit anzuwenden."

"Auch bei diesen Gesetzen scheint der Zweck der Strafe gar nicht berücksichtigt"

"Eben so sehr mangelte alles Ebenmaß und gleiches Verhältnis zwischen der Handlung und Strafe. Wer zahlen konnte, entledigte sich leicht der über ihn verhängten Strafe, und die gewöhnlichste Strafe war Geldstrafe." Ein typisches Beispiel für all das möchte ich wörtlich zitieren:
Wenn jemand am Markttag auf dem Markt sein Schwert entblößt, so daß es jemandem zum Schaden gereicht, und er dessen überführt wird, so soll er dem Richter zwei Pfund und der Stadt drei Pfund geben. Hat er das Geld nicht, soll man ihm die Hand mit einem Messer durchbohren. Dieses Beispiel steht für viele andere. Es zeigt zweierlei:
1. daß der Reiche oder Reichere sich loskaufen konnte; und
2. daß die Objektivität des Richters Schaden nehmen konnte, da er sehr häufig durch den Urteilsspruch den er fällte, seinen eigenen Säckel stärken konnte.
Es war also auch damals nicht alles Gold was glänzt.

Aber zurück zu der Bestätigung durch Ottokar I., 1129 auf dem Brünner Landtag. 14 weitere Jahre waren verstrichen. Brünn und Olmütz hatten schwere Tatareneinfälle, mit Raub, Mord und Brandschatzung abgewehrt und wir schreiben das Jahr 1243. Die Brünner Bürger hatten schon längere Zeit auf ein einheitliches Stadtrecht gedrängt. Wahrscheinlich kannten sie die Schwerfälligkeit von Beamtenschreibstuben, damals wie heute, und man kann vermuten, daß sie daher selbst eine Fassung erstellten, auf der Grundlage dessen, was -wie schon erwähnt- bereits bestand. Jedenfalls wird von einer Abordnung berichtet, die die Texte der königlichen Kanzlei in Prag übergab. Diese brachte sie nur in die, der damaligen Zeit entsprechende "Verordnungssprache", und bereitete sie in lateinischer Sprache zum Erlaß vor.

König Wenzel I. erließ dann 1243 die

Großen und Kleinen Stadtrechtsprivilegien für Brünn
(Jura originalia civitatis brunensis).

Die Einleitungspassagen möchte ich Ihnen nicht vorenthalten. Sie sind zwar etwas pathetisch, wie man es damals liebte, aber ausdrucksstark: Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen.

Wir Wenzel, von Gottes Gnaden der vierte König zu Böhmen, wünschen Heil all denen, die jetzt leben und noch kommen werden. Der Ruhm der Fürsten erstrahlt heller dadurch, daß sie ihren Untertanen Frieden und Ruhe schaffen .....

(und darum, daß ihr löblicher Name und ihr Andenken ewig bleibe und daß sie die himmlische Seligkeit vor Gott verdienen, sollen sie eifrig danach trachten, )

und etwas weiter heißt es dann: ......und daß sie ihnen solche Gebote setzen und so wohlverstandene Rechte geben, daß sie ehrlich leben und guter alter Gewohnheit folgen, so daß sie Leib und Seele behalten. Und darum haben wir die inständigen Bitten unserer lieben Bürger von Brünn erhört und haben ihnen gnädig die Rechte und Freiheiten gegeben, die im nachfolgenden geschrieben stehen, und haben sie ihren Erben und allen ihren Nachfolgern mit unseren Briefen bestätigt."

Beide Urkunden bilden eine Einheit; und die Originale im Besitz des Brünner Stadtarchivs stellen einen über Jahrhunderte hin treu und sorgsam bewahrten Schatz dar. Faksimile können Sie in der Ausstellung hier im Prediger besichtigen.

Sie werden dort sehen, daß die Urkunden in lateinischer Sprache erlassen wurden. Sie wurden aber sofort ins Deutsche übersetzt, um es auch den weniger gebildeten Bürgern verständlich zu machen. Auch alle Erläuterungen wurden in deutscher Sprache verfaßt. Ein Beweis dafür, daß die deutsche Sprache gleichberechtigt neben die lateinische trat; und daß -unübersehbar- schon damals Deutsch die Umgangssprache war.

Hier folgt die Übersetzung der Jura originalia civitatis brunensis  aus dem Lateinischen ins Deutsche:
Jura originalia civitatis brunensis

Um diesen Rechtsvorschriften Geltung zu verschaffen, wählten die Bürger aus ihrer Mitte 24 Geschworene (oder Schöffen). An ihre Beschlüsse war der Stadtrichter gebunden; er mußte für ihre Durchführung sorgen. Die Bedeutung dieses Stadtrechtes, das sich die Brünner Bürger errungen hatten, beschreibt Christian d' Elvert, etwas geschraubt, wie folgt:

"Einen vollgültigen Beweis von dieses Stadtrechtes hohem Werth in damaliger Zeit, (wo es nur am Magdeburger Rechte einen Rivalen fand,) von seinem hohen Ansehen in den Nachbarlanden, auf slawischer, deutscher und magyarischer Erde, gibt die große Anzahl der aufgezeichneten Städte, die es gebraucht und geübt, nicht nur in Mähren, auch in Schlesien, Ungarn, Oestreich und Böhmen. Selbst Prag, des Reiches berühmte und glanzvolle Hauptstadt, verschmähte nicht die freundliche Gabe....."
Soweit d'Elvert.

Wir haben ausgiebige und genaue Kenntnis von der damaligen Rechtsprechung; denn der Stadtschreiber Johannes stellte 100 Jahre nach der Verleihung der Stadtrechte die bis dahin ergangenen Schöffensprüche (Urteile) und Belehrungen schriftlich zusammen im sogenannten Schöffenbuch. Ein weiterer, äußerst kostbarer Schatz des Brünner Stadtarchivs.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß der Betrachtungen über das Brünner Stadtrecht noch eine Merkwürdigkeit erwähnen. Das heutige Brünn gedachte natürlich auch der 750sten Wiederkehr des Verleihungsaktes. Eine Delegation der BRUNA nahm teil, der Brünner Heimatbote berichtete. Bei dieser Feier hielt Prof. Flódr den Festvortrag, der uns im Original und in Übersetzung vorliegt. Flódr verweist auf die Reife dieser jungen Stadt, die es den Geschworenen erleichterte die Privilegien zu erlangen. Er verwies ferner zu recht auf die Einmaligkeit, daß die Originale bis heute in sehr gutem Zustand erhalten blieben, und sagte dazu wörtlich: "Ein großer Anteil an einer so günstigen Erhaltung gebührt gewiß der Glücksgöttin, denn die Gefahren, die da im langen Fluß der Jahrhunderte entstanden, waren häufig, oft unerwartet und durchwegs groß. Das Hauptverdienst darum gehört jedoch den Menschen, vor allen denjenigen, die die Verwaltung der Stadt besorgten."

Soweit, sogut. Aber Flódr weiß natürlich genau so wie wir, daß mindestens seit 1050, also fast 900 Jahre lang, Deutsche in der Stadt lebten; und daß ihr Wirken, besonders in der Neuzeit, von großer Bedeutung für die Stadt war. Bedauerlicherweise erwähnte er dies mit keinem Wort. Das wird etwas verständlicher, denkt man an die von den Kommunisten über 40 Jahre lang betriebene Geschichtsverfälschung bzw. Wahrheitsunterdrückung. Noch ist wohl die Zeit nicht reif für die Wahrheit. Anständiger aber wäre es sicher gewesen, bei so einer Gelegenheit auf den deutschen Anteil zu verweisen; doch wie sagt schon Karl Kraus ? Anstand ist nicht nur ein Begriff aus der Jägersprache, es hat auch etwas mit anständig zu tun. Damit wollen wir das Kapitel "Stadtrecht" beenden.

Folgen Sie mir bitte nun noch eine Weile bei einem Gang durch die Stadtgeschichte; sie umfaßt den längeren Zeitraum. Aber vergessen Sie auch gleich wieder den "längeren Zeitraum", denn dann müßten wir fast tausend Jahre zurückgehen, und dann uns mühsam durch die Jahrhunderte durchkämpfen. Das will ich weder Ihnen noch mir zumuten. Es würde uns überfordern, Ihre Aufmerksamkeit würde schnell erlahmen.

Lassen wir es dabei bewenden, daß Brünn um die Jahrtausendwende schon bestand. Bereits seit 1054 ist Brünn ein eigenes Fürstentum. Der Přemyslide Konrad (1061 -1092) erhielt Mähren "bis zur Schwarzach und Zwittach", weil er der deutschen Sprache mächtig war. Ein deutlicher Hinweis auf den deutschen Bevölkerungsanteil.

130 Jahre später. Kaiser Barbarossa gibt auf dem Reichstag zu Regensburg (26.9.1182) Otto von Mähren das ungeteilte Mähren zum Lehen. Ottos Nachfolger Markgraf Wladislaw Heinrich hielt bereits Hof auf dem Spielberg und bemühte sich, mit dem prunkliebenden Prager Hof zu konkurrieren. Ein Bemühen, das die Potentaten über die Jahrhunderte weiterpraktizierten; und die Demokratien getreulich übernahmen.

Verweilen wir noch einen Augenblick in dieser Zeit: Altbrünn ist wahrscheinlich die älteste Siedlung am Fuß des St. Petersberges, hatte ein eigenes Rathaus, auch das älteste Gasthaus, den "Blauen Löwen". 1238 stiftete der Brünner Bürger Rudger (Rüdiger) ein erstes Spital für Arme. Wie sah es sonst aus? Das Sumpfgelände Grillowitz und Neustift war bereits urbar gemacht und fruchtbares Gemüseland geworden. Das Handwerk blühte in streng geordneten Zünften. Es gab Weingärten, Hopfenanbau, Bierbrauereien, und es gab Bienenzucht. Drei verschiedene Handelsstraßen führten über Brünn. Eine Urkunde von 1233 erwähnt einen Schulmeister Raschardus (Richard), auch einen Physicus Wilhelm, wahrscheinlich der erste deutsche Arzt. Kurzum: in der 2.Hälfte des 12. Jhd. und Anfang des 13.Jhd. erscheint Brünn schon als wohlgeordnetes Gemeinwesen. Im östlichen Teil der Stadt, und um die Jakobskirche herum, waren die Deutschen seßhaft, in der Gegend des heutigen Großen Platzes wohnten die Wallonen, die Slawen um die Peterskirche herum; und die Juden hatten eine eigene Gasse, die spätere Ferdinandsgasse. Auch Italiener fanden sich in der Stadt, handelten hauptsächlich mit Seidenwaren, Südfrüchten und Gewürzen.

Aber beenden wir diese kurze Reise in die weit zurückliegende Vergangenheit. Ich versprach Ihnen als Ausweg die Begrenzung. Greifen wir also einen Abschnitt aus der jüngeren Geschichte heraus. Sie ist interessant genug, vielleicht sogar noch interessanter als die Vorgeschichte. Vor allem aber, sie ist für uns begreifbarer, teils sogar noch an persönliche Erinnerungen geknüpft; oder an Überlieferungen von vorangegangenen ein oder zwei Generationen.

Ich weiß nun nicht, ob Sie es auch so sehen wie ich, --aber vielleicht kann ich Sie davon überzeugen, daß man die Geschichte einer Stadt un-möglich losgelöst sehen kann von der Geschichte ihrer Umgebung, ihrer näheren und weiteren Umgebung, daß man vieles nicht verstehen kann, ohne Beachtung des gesamten politischen Umfeldes. Kriege, vor allem Kriege, aber auch Wechsel der herrschenden Geschlechter, Wechsel in den geistigen (und nicht zuletzt auch in den geistlichen) Strömungen, und noch vieles mehr, hatte seine Auswirkungen auf die Entwicklung und damit auf die Geschichte dieser Stadt. Denken Sie nur an die Reformation und an die Gegenreformation, in deren Nachwirkung protestantische Bürger Brünns die Stadt verlassen mußten; denken Sie an die Schweden vor Brünn, oder an die Preussen vor Brünn, oder an Napoleon in Brünn (und bei Austerlitz)..., und Sie werden zugeben müssen, daß all dies auch Auswirkungen auf die Geschichte der Stadt und auf das Leben ihrer Bürger hatte.

Und so sollten wir versuchen, aus den größeren politischen und kulturellen Zusammenhängen und Strömungen jeweils auf die Stadt rückzuschließen.

Was kann man dabei, so fragte ich mich, bei den Zuhörer voraussetzen? Sicher werden Geschichtskenntnisse vorhanden sein, aber in unterschiedlichem Ausmaß. Was wird noch geläufig sein, fragte ich mich weiter? Sicher wohl die Zeit der 1.Tschechoslovakischen Republik. Aber auch an die Zeit vor dem 1.Weltkrieg und an die Habsburger Monarchie wird sich mancher, und sei es aus Erzählungen der Eltern und Großeltern, noch gut erinnern.

Dann aber wird es schon dünner. Greifen wir uns also, im Zuge der vorgeschlagenen Begrenzung, aus den vielen Jahrhunderten Stadtgeschichte einen Abschnitt heraus und beginnen wir einfach mit der Ära der Maria Theresia, die ist wohl noch ein Begriff. Diese Erzherzogin von Österreich, Königin von Böhmen und Ungarn, noch später Kaiserin, oder genauer, Gattin eines Kaisers, hatte es nicht leicht. Wenn sie nicht gerade Kriege führen mußte (Schlesische Kriege, Österreichischer Erbfolgekrieg), und wenn sie nicht gerade im Wochenbett lag (was recht häufig der Fall war), widmete sie sich entschlossen grundlegenden Reformen. Aber erstmal mußte sie Kriege bestehen.

Dazu ein Kapitel Brünner Stadtgeschichte, das wert ist in die Erinnerung gerufen zu werden: Die Preussen vor Brünn.

Kaum war der Vater Maria Theresias, Karl VI., zur ewigen Ruhe gebettet worden, da stürmte halb Europa auf Maria Theresia los. Erster bei dem Kampf um Beute war der jugendliche Held der damaligen Zeit: Friedrich der Zweite von Preussen, der später "der Große" genannt wurde. Er besetzte nicht nur das österreichische Schlesien, wo er, außer in Neisse, keinen Widerstand antraf, sondern rückte anschließend auch in Mähren ein. Christian d' Elvert, den ich schon beim Stadtrecht zitierte, schreibt dazu wörtlich: Den 9.Februar des Jahres 1742, ein Jahrhundert, nachdem der Stadt glorwürdiger Kampf Oestreich gegen die Schweden errettet, 314 Jahre, als sie den eben so rühmlichen Kampf gegen die Waisen und Taboriten durchgefochten, rückte der Feind eine halbe Stunde vor Brünn, und umschloß Stadt und Spielberg beinahe ganz. Viel hing davon ab, wie sich Brünn halten und dem weitern Vordringen der Feinde wehren werde."

"Schlesien und Mähren waren von Preussen und Sachsen, Böhmen von Franzosen, Baiern und Sachsen überschwemmt... ein guter Theil von Oestreich war von Baiern besetzt und des Kaiserreiches Hauptstadt mächtig bedroht ...; und er fährt, etwas pathetisch fort:

Wer hätte da nicht jeglichen Glauben an Rettung aufgeben mögen ? Theresia gab nicht auf! Im hinreißenden Zauber ihrer Schönheit, erhöht noch durch den leisen Schmerz im Antlitze, voll Majestät, das Knäblein Joseph auf dem Arme, trat sie vor die Reichsversammlung der hochherzigen Ungarn. In treuen und lebhaften Worten schilderte sie ihre große Noth in der Nationalsprache. Da blitzten allgesammt die Säbel heraus.... usw."

Und er beschließt das Kapitel mit folgenden Worten: "Endlich rückte Prinz Karl von Lothringen mit dem neu ausgerüsteten Heere zum Entsatze heran und am 7.April hoben die Feinde die Bloquade Brünns auf, und zogen, im Rücken stets beunruhigt, auf der Straße nach Wischau ab. Furchtbar hausten die Preussen und Sachsen in Plünderung und Brand in der Umgegend Brünns; vom 27. März bis zur Zeit ihres Abzuges färbte sich fast täglich der Himmel blutroth und weit und breit flammende und knisternde Feuersäulen der benachbarten Dörfer Barfuß, Strzelitz, Schlappanitz, Brisenitz, Judendorf, Medlanko, Franspitz, Lautschitz, Turas und anderer umleckten ihn, gleichsam um Rache aufschreiend."

Lassen Sie uns zurückkehren, zu Maria-Theresias Reformen. Sie im einzelnen zu besprechen, ist hier nicht der Raum. Aber sie wirkten sich aus, selbstverständlich auch in Brünn, dem "Wiener Vorort". Maria Th. war eine der größten weiblichen Gestalten der Geschichte. (Nicht ohne Grund lautet ein alter, etwas zweideutiger Gymnasiastenspruch "Die Periode der Maria Theresia zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte"). 1748 erhielt der Rath der Stadt Brünn ihr Handschreiben, in dem sie mitteilte, "sie sei gesonnen, mit ihrem erlauchten Gemahle, dem Kaiser Franz, einige Zeit in Brünn zu weilen". Da der letzte Besuch einer königlichen Majestät 140 Jahre zurücklag, kann man leicht ermessen, welche Aufregung das Schreiben auslöste. Aber verlassen wir auch Maria-Theresia; wenden wir uns ihrem Sohne Josef zu, der damals, als sie vor die Ungarn trat, eben 1 Jahr alt war.

Josephs Wirken Übertraf das seiner Mutter nicht, aber kam ihm gleich; wenn auch auf einer ganz anderen Ebene. Es war so bedeutend, daß man noch heute vom "Josephinismus" spricht. Während Maria Theresia tief religiös und kirchlich gebunden war, neigte ihr Sohn Joseph, der bis 1780 ihr Mitregent war, mehr zu einem aufgeklärten, allerdings katholisch geprägten Absolutismus. Er setzte die von seiner Mutter begonnenen Reformen -Heeresreform, Staats- und Verwaltungsreform, Zentralverwaltung- entschlossen fort; ergänzte sie durch eine Justizreform und schaffte, als Mann der Aufklärung, die Leibeigenschaft ab. Er lebte von 1741 - 1790 und müßte jedem Brünner ein Begriff sein, der ein bißchen in der Schule aufgepaßt hat. Kaiser Joseph II., war sehr häufig in Brünn, so zwischen 25 und 30 Besuche wurden gezählt. Wir erinnern uns, was uns schon in der Volksschule erzählt wurde: Er besuchte die Kasematten auf dem Spielberg und ließ sie anschließend sperren, Er besuchte Brünner Tuchfabriken und zeigte höchstes Interesse für die aufblühende Industrie, Er gab den Augarten, der bis dahin den Ständen vorbehalten war, für das Volk frei. Viele von uns kennen noch das Bild des Kaisers, wie er bei Slawikowitz einen Bauern bei seinem Pflug ablöste und selbst eine Furche zog.

Im Zuge der sogenannten Säkularisierung löste er viele Klöster auf und wies den verbleibenden neue Aufgaben zu, die sie aus dem bis dahin geübten, überwiegend kontemplativen Leben herausführten, stärker mit der Bevölkerung verbanden durch die Pfarrseelsorge und durch Betätigung im Schuldienst.

Vor allem aber, er erließ das sogenannte Toleranzedikt, das jedermann Glaubensfreiheit zusicherte; ein für die weitere Entwicklung Brünns sehr wichtiger Erlaß. Denn es konnten dadurch evangelische Bürger Brünns zurückkehren; und auch weiteren Persönlichkeiten aus dem Reich war der Weg nach Brünn geebnet.

Kein Wunder, daß die Herzen der Brünner diesem jungen Kaiser bei jedem Besuch entgegenschlugen. Wie sah unsere Heimatstadt damals aus?

Die Zahl der Einwohner kannte man nicht genau. Dies änderte sich erst, als Maria-Theresia 1762 eine jährliche Volkszählung anordnete. So wissen wir heute, daß Brünn im Jahre 1770 rd. 15.000 Einwohner hatte. Innerhalb von 20 Jahren stieg die Zahl auf 23.000. 1850 waren es bereits 37.500 Diese steigende Zahl beweist, daß es Weiterentwicklung gegeben hatte, auf allen Gebieten. Diese hielt auch nach der Theresianischen und Josephinischen Zeit an. Bis zur Jahrhundertwende wurde eine ganze Reihe von Zweckbauten errichtet: eine Polizeidirektion, ein Armenhaus, eine Blindenanstalt, eine Gebäranstalt. Die Festungsanlagen wurden eingeebnet und Grünanlagen geschaffen (ich erinnere an das Glacis), Stadttore wurden abgetragen, die Straßen gepflastert und später (mit Gas) beleuchtet. Noch in meiner Jugend waren ganze Stadtteile mit Gaslicht ausgestattet; und wer erinnert sich nicht an den "Laternanzünder", der mit seiner Stange die Schieber oben an der Laterne auf- bzw. zumachte. Die stärksten Entwicklungsimpulse aber gingen von der Tuchindustrie aus, die bald, z.T. mit staatlicher Förderung, das Niveau ausländischer Produkte erreichte. Die Namen dieser Pioniere waren als Straßennamen mir noch in meiner Jugend bekannt; z.B. Köffiler und Offermann. Zwar brachte der russisch-türkische Krieg, in den sich Österreich hatte verwickeln lassen, den Verlust östlicher Absatzgebiete und damit einen spürbaren Rückschlag. Aber skurrilerweise brachten andere Kriege wieder die Erholung. Napoleon war es, der mit seiner Kontinentalsperre, mit der er die Engländer treffen wollte, den Boom bei inländischen Stoffen hervorrief. 1813 zählte man in Brünn schon 23 Tuchfabriken. Der nächste Rückschlag ließ nicht lange auf sich warten. Die Völkerschlacht bei Leipzig läutete Napoleons Untergang ein, die Kontinentalsperre gab es nicht mehr, ausländische Tuche eroberten sich wieder die alten Märkte. Dazu kamen noch neue russische Zollgesetze; kurz -- nur die Tüchtigsten der Brünner Tuchindustrie überlebten. Es darf nicht unerwähnt bleiben, daß bei der Entwicklung der Tuchindustrie auch Namen aus dem Schwäbischen bzw. Württembergischen auftauchen: Hopf aus Balingen, Schöll und Reif aus Urach.

Gefördert wurde die allmähliche Erholung der Tuchindustrie durch die nun stürmisch einsetzende Mechanisierung, durch die Kraft der Dampfmaschine. Wir können uns heute gar nichtmehr vorstellen, welch eine Revolution dadurch eingeleitet wurde; wir sind ja so blasiert und mit technischem Fortschritt verwöhnt. Ich darf Ihnen dazu die Vorgeschichte in Erinnerung rufen: James Watt, ein Engländer, hatte, heute vor rund 200 Jahren für seine Maschine, die er gestützt auf Vorarbeiten anderer entwickelte, ein Patent erhalten.

Plötzlich war alles anders. Was bis dahin nur von Wind- oder Wasserkraft, Pferde- oder Menschenkraft vollbracht werden konnte um Dinge oder Maschinen zu bewegen, verrichtete nun die Kraft erhitzten Wassers, der Dampf. Die Folgen sind bekannt, negative bis hin zum mechanischen Webstuhl und dem davon ausgehenden "Webersterben"; aber auch positive, man denke nur an die segensreiche Entwicklung der Eisenbahn und der Seeschiffahrt.

Wieder war es ein Mann aus hiesigem Landstriche, nämlich L u z aus Metz bei Reutlingen, der diese neue Kraft in und für Brünn nutzbar machte. Er gründete in Schlapanitz die erste Maschinenbau-Fabrik und erzeugte als erster in Österreich fabrikmäßig Dampfmaschinen. Durch Fusion mit der Maschinenfabrik eines Engländers (Bracegirdle) entstand dann die berühmte 1. Brünner Maschinenfabrik. Damit war für Brünn einer zweiter Industriezweig geboren, der bis in unsere Tage bestimmend geblieben war. Daneben nahmen Handel, Gewerbe, Schulwesen, Gesundheitswesen und alle Zweige der Kunst einen stetigen, teilweise stürmischen Aufschwung. Besonders das Schulwesen näher zu untersuchen wäre reizvoll. Auch hier finden wir wieder Württemberger Vertreter. So Gottlob Karl Trost aus Urach, der das Esslinger Lehrerseminar absolviert hatte und die Leitung der evangelischen Schule in Brünn übernahm. Das war 1795. Damit Sie sich zeitlich leichter orientieren können: Das war genau 6 Jahre nach dem Sturm auf die Bastille und dem Beginn der französischen Revolution.

Er wurde abgelöst von einem jungen Tübinger Magister, Karl August Zeller, geboren in Ludwigsburg, der eine zwar kurze aber ungemein segensreiche Tätigkeit entwickelte. Unter anderem eröffnete er eine Sonntagsschule für Lehrlinge.

Meine Damen und Herren,

wes Herz voll ist, des Mund geht über. Oder droht überzugehen; aber das darf bei einem Festvortrag nicht passieren. Ich komme daher zum Schluß, obwohl ich überzeugt bin, daß es Sie auch noch interessieren könnte, die Entwicklung Brünns, das bis ca. 1850 als Großgemeinde bezeichnet werden konnte, weiter zu verfolgen. Es war der Weg zur Großstadt. Wir können ihn nichtmehr schildern; aber soviel sei gesagt: Dieser Weg war ein Weg des ständigen Erfolges. Und dieser war maßgeblich bestimmt durch Brünns Bürgermeister. Es waren neun Männer, die von 1851, dem Jahr der Eingemeindung von 27 Vorstädten, bis 1918, dem Ende des 1.Weltkrieges, die Geschicke der Stadt maßgeblich bestimmten. Und die Brünner waren klug genug gewesen, bei den in freier Wahl zu bestimmenden Bürgermeistern Persönlichkeiten an die Spitze der Stadt zu stellen, die sich als fähig erwiesen und des Vertrauens würdig, das man in sie setzte. Wer erinnert sich nicht noch an die Giskrastraße und an den Winterhollerplatz, Namen von zweien dieser Bürgermeister. Die bedeutendsten waren wohl Dr. August Ritter von Wieser, und Christian Ritter d' Elvert. Beide gebürtige Brünner. d' Elvert besuchte das Brünner Gymnasium und studierte anschließend an der deutschen Universität in Prag. Er war 25 Jahre, als sein erstes historisches Werk, das er bescheiden "Versuch einer Geschichte Brünns" nannte, erschien. Wir haben daraus zitiert. Unzählige weitere Veröffentlichungen folgten. Er war zweimal zum Bürgermeister gewählt worden und starb 93-jährig in Brünn. Sein bleibendstes Werk war die Umgestaltung des Spielberges zu einer grünen Kuppel mitten in der Stadt. Wieser, eine markante Persönlichkeit, hat sich vor allem um die kulturelle Entwicklung der Stadt verdient gemacht. Auch zu diesen Männer gibt es eine Dokumentation in der Ausstellung.

Dies alles ging 1918 zu Ende; oder sagen wir milder, es ging weiter, wenn auch in verwandelter Form. Wenn auch die Straßennamen verschwunden sind, wenn auch Ehrentafeln abgerissen, Denkmäler zerstört sind und Ehrengräber am Zentralfriedhof eingeebnet wurden -die Erinnerung an die großen Leistungen dieser Bürgermeister bleiben ebenso unzerstörbar wie die Zeugnisse ihres Handelns. Auf Dauer können ihre Namen aus der Geschichte unserer Heimatstadt nicht mutwillig getilgt sein oder getilgt bleiben. Meine Damen und Herren, Über Jahrhunderte lebten Menschen der unterschiedlichsten Herkunft in dieser Stadt. Wenn auch die deutsche Dominanz unverkennbar ist, ständig gefördert durch "Nachschub" aus den deutschsprachigen Mutterländern, so finden wir auch Angehörige vieler anderer Völkerschaften in dieser Stadt in friedlichem Wettstreit vereint.

Wir haben versucht darzustellen, daß man das Schicksal einer Stadt nicht losgelöst betrachten darf von dem Geschehen um sie herum. Alle größeren politischen Strömungen und Ereignisse hatten natürlich ihre Auswirkungen auch auf die Stadt. Wechsel der Regierenden, Kriege und Wechsel im Lebensstil, bedingt durch Wissenschaft und Aufklärung, schlugen sich nieder. So wie auf die Reformation die Gegenreformation folgte, so gab es die Jahrhunderte währende Herrschaft der Kirche und des Klerus; gab es die Auseinandersetzungen des Klerus mit dem Adel. Und es gab das Ringen der Bürger, der Stände um mehr Macht und um mehr Freiheit. Wirkliche Spannungen aber brachte erst das 19. Jahrhundert mit dem Erstarken des Nationalismus. Während sich die Nationalitätskämpfe und Auseinandersetzungen bis zum Beginn des 2. Weltkrieges noch in relativ geordneten Formen abspielten, veränderte das Geschehen während des 2. Weltkrieges durch den aus dem Reich importieren übersteigerten Nationalitäts- und, vor allem, Rassenwahn die Verhältnisse radikal. Durch diesen Nationalitätswahn ist die Menschheit ins finsterste Mittelalter zurückgeworfen. Das wird uns im ehemaligen Jugoslawien ebenso vor Augen geführt wie in Teilen des ehemaligen sowjetischen Imperiums. Aber wir Deutsche haben keine Veranlassung uns darüber zu mokieren; oder uns moralisch überlegen zu fühlen. Denn alles, was vom Zeitalter des Humanismus und der Aufklärung auf uns überkommen war, brachte der Nationalsozialismus mit dem Genozid des Judentums, der Sinti und Roma, und mit der Euthanasie bereits zu Fall. Was sich nach dem Kriege bis heute in dieser Richtung abspielte, ist gewissermaßen die Fortsetzung. So fiel es den siegenden Kräften leicht, das durchzusetzen, wofür heute der heimtückische (und zugleich verharmlosende) Ausdruck "ethnische Säuberung" gefunden wurde, hinter dem sich so viel Unmenschlichkeit versteckt. Nicht "ethnischer Säuberung" -möchte man, besonders den Serben und Kroaten zurufen- bedarf es, sondern "ethischer Säuberung".

Das Verjagen der Deutschen aus ihrer Heimatstadt, unter menschenunwürdigen Bedingungen, war der Auftakt; die Vertreibung der Deutschen, aus den rein deutschen Randgebieten, egal ob geordnet oder weniger geordnet, ob vyhnání oder odsun, war die Fortsetzung. Es gereichte, wie man damals ahnte, und wie wir heute wissen, dem tschechischen Volk nicht zum Vorteil.

Dabei wäre es so einfach, wenn die Menschheit imstande wäre eines zu erlernen -was die christliche Lehre von Anbeginn predigte, wenn auch nicht immer beherzigte-: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.

Toleranz, Duldsamkeit, das Geltenlassen des Anderen ist gefordert. Natürlich beruht das auf Wechselseitigkeit; aber einer muß den Anfang machen. Bloß, wenn selbst große Religionsgemeinschaften fanatische Alleinvertretungsansprüche, bis hin zu Mordaufträgen geltend machen, statt zu Toleranz zu erziehen-- wie soll es da besser werden?

Lassen wir uns nicht zu Haß und Unduldsamkeit verleiten; denken wir an Bertolt Brecht, der da sagte: Auch der Haß gegen die Niedrigkeit verzerrt die Züge, Auch der Zorn über das Unrecht macht die Stimme heiser.

Bleiben wir gelassen und arbeiten wir geduldig weiter an der Versöhnung der Völker, die im Entstehen eines größeren Europas nötiger ist denn je; und nicht aufzuhalten ist, wenn es auch noch einige Zeit dauern wird. Der Wahrheit und Wahrhaftigkeit aber gebührt dabei der erste Rang.

Wir alle, die wir in der CSR groß geworden sind, erinnern uns noch an den Wahlspruch einer politischen Partei, der, wenn ich mich richtig erinnere, auch im Staatswappen stand: Pravda vítězí - Die Wahrheit siegt. Zwar wissen wir auch, daß es eine hundertprozentige Wahrheit ebenso wenig gibt wie hundertprozentigen Alkohol; und daß es allzuoft auch mehrere Wahrheiten gibt. Aber nehmen wir den Wahlspruch als im Grunde richtig an-- dann ist es richtig, daß Brünn über Jahrhunderte von deutschem Geist, deutschem Wagemut, deutschem Organisationstalent, kurz von deutschem Einfluß geprägt wurde.

Die Erinnerung daran wachzuhalten, die Tradition, sei unsere Aufgabe; denn Tradition pflegen, heißt nicht Asche bewahren, sondern die Flamme hüten.

Der Wahrheit, oder sagen wir verbindlicher, der Suche nach der Wahrheit mißt auch der heutige Präsident der Tschechischen Republik, Václav Havel, eine überaus große Bedeutung zu; auch der Wahrheit über die Vertreibung der Deutschen. Immer wieder stößt man bei ihm auf Äußerungen wie: "Es hat immer Sinn die Wahrheit zu sagen" oder "Die Wahrheit ist die gesündeste Sache".

So wollen auch wir, um bei der Wahrheit zu bleiben, nicht leugnen, daß in unserer Heimatstadt auch aus den tschechischen Bevölkerungsteilen Beiträge geleistet wurden, Impulse kamen, fruchtbare und anerkannte.

Das war zumindest solange so, bis der schon erwähnte, unselige Nationalismus auf beiden Seiten, bei den Tschechen wie bei den Deutschen, seine destruktiven Kräfte immer stärker entfaltete. Seine Auswirkungen waren Intoleranz, Herrschsucht, Ablehnung bis hin zum Haß.

Und so sehe ich es gerade für uns vertriebene Deutsche als besondere Aufgabe an -so wie es der Herr Bundesvorsitzende der BRUNA kürzlich in Brünn formulierte- Brückenbauer zu sein; zu arbeiten, solange wir es noch können, für ein humanes Zusammenleben von Tschechen und Deutschen, für ein Vergeben vergangener Sünden (was nicht Vergessen zu bedeuten braucht), sehe es als dankenswerte Aufgabe mitzuhelfen, bei einer Verständigung unserer beiden Nationen, auf dem Wege in ein größeres Europa. Ähnlich, wie es Deutsche und Tschechen über lange Zeiträume in friedlicher Koexistenz und Zusammenarbeit in unserer Heimatstadt Brünn bewiesen haben. Mit dieser Vision, die zugleich ein Aufruf sein soll, schließe ich die Betrachtungen über das Brünner Stadtrecht und die Erinnerungen an die Geschichte unserer geliebten Heimatstadt Brünn.

 


Dies ist der Aufruf dieser Seite seit dem dem 01.02.2001.
© BRUNA e.V.